Die Zukunft liegt in der Vergangenheit: Die Masseneinwanderung erweist sich schon heute als Sprengstoff für Zentraleuropa; Teilungen, Sezessionen und
Zonenbildungen aller Art könnten die baldige Antwort sein: der Flickenteppich des Heiligen Römischen Reiches um 1250.
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Die Zukunft liegt in der Vergangenheit: Die Masseneinwanderung erweist sich schon heute als Sprengstoff für Zentraleuropa; Teilungen, Sezessionen und Zonenbildungen aller Art könnten die baldige Antwort sein: der Flickenteppich des Heiligen Römischen Reiches um 1250.
Achtundzwanzig Jahre nach dem Mauerfall ist die Tonlage zwischen West und Ost so gereizt wie seit 1989 nicht mehr. Ein deutsch-deutsches Gespräch findet allerdings nur über Bande statt, denn die medialen Ressourcen und die Diskurshoheit liegen noch immer fast ausschließlich bei Protagonisten aus dem Westen. Aus der putzigen »Zonengabi«, die 1990 ihre erste Banane schälte, und dem armen »Jammerossi«, den das Westniveau überforderte, sind die »Dunkeldeutschen« und das »Pack« geworden. Die Ostdeutschen reagieren darauf zunehmend abgeklärt. Sie üben sich in dissidentem Wahlverhalten, halten stoisch Pegida am Leben, protestieren gegen die Zuweisung von Migranten, stören die Wahlkampfauftritte der Kanzlerin und nennen das »zivilen Widerstand«. All das löst Irritationen bei den westlichen Multiplikatoren aus, in deren Koordinatensystem der bürgerliche Ungehorsam für den Kampf gegen Atomkraft, Abschiebungen und »die Rechten« reserviert ist.
Vor kurzem noch wurden die deutsch-deutschen Konflikte als soziale ausgetragen. Sie entzündeten sich an der ungleichen Verteilung von Lebenschancen, die sich aus der mehr als vierzigjährigen Spaltung des Landes und den Systemunterschieden ergab. Grundsätzliche Zweifel an der Legitimität politischer Institutionen und ihrer Entscheidungen waren nicht damit verbunden. Die Verhältnisse waren klar: Die DDR war ein gescheiterter, die Bundesrepublik ein erfolgreicher Staat. Die DDR war die Abweichung, die Bundesrepublik der historische Normalfall. So erschien es nur natürlich, daß neben ihren Institutionen auch ihre Sprachregelungen und Diskurse auf das Gebiet der DDR ausgedehnt wurden.
Jürgen Habermas sprach 1990 der Mehrheit der Westdeutschen aus dem Herzen, als er den Sturz der kommunistischen Regime in Osteuropa als eine lediglich »nachholende Revolution« interpretierte, die »kein neues Licht auf unsere alten Probleme« werfe. Es handele sich um »ein Ausgreifen der Moderne (…). Der Geist des Okzidents holt den Osten ein, nicht nur mit der technischen Zivilisation, sondern auch mit seiner demokratischen Tradition.« Die DDR-Bürger hatten den Modernisierungsrückstand aufzuholen, zum Bewußtseinsstand der Bundesdeutschen aufzuschließen und engagiert an der »radikalreformistischen Selbstkritik einer kapitalistischen Gesellschaft« teilzunehmen. Die Empfehlung wurde in idealtypischer Weise von der SED beherzigt, die sich zur linkssozialistischen Partei transformierte und zugleich als Sprachrohr ostdeutscher Befindlichkeiten in das bundesdeutsche Parteienspektrum integrierte.
Doch nun bricht entlang der alten Demarkationslinie zwischen Ost und West ein politischer Konflikt auf. Nachdem bereits die Finanz- und Eurokrise die Reste des Ursprungsvertrauens, das die Ostdeutschen in die Kompetenz des Westens besaßen, zerstört hat, bringt die forcierte Einwanderung das Faß zum Überlaufen. Die Linkspartei, die unverdrossen offene Grenzen für alle Bedrängten dieser Welt verlangt, hat darüber ihre Rolle als Ostpartei verloren.
Sündenböcke für Migrationsprobleme
Die Frage aller Fragen lautet, ob man seine Heimat dauerhaft mit einer nicht beherrschbaren Anzahl von Einwanderern aus dem afrikanischen und arabischen Raum teilen und die Risiken und Nebenwirkungen auf sich nehmen will. Sie stellt sich in den alten Bundesländern noch viel akuter als in den neuen. Ein deutsch-deutscher Konflikt entzündet sich an ihr, weil sie im Westen aufgrund der normativen Kraft des Faktischen – die über Jahrzehnte eingeschliffenen Mentalitäten, die politischen Kräfteverhältnisse und die demographische Entwicklung – nicht mehr öffentlich ausgesprochen und offen debattiert werden kann. Im Osten Deutschlands und in Osteuropa ist das noch möglich. Die Visegrád-Staaten – Polen, Ungarn, Tschechien und die Slowakei – stemmen sich vehement gegen die Zumutung, im Rahmen der EU die Folgen einer Einwanderungspolitik mitzutragen, die ohne ihre Mitwirkung festgelegt wurde und gegen ihren Willen exekutiert wird. Dieser gesamtdeutsche und gesamteuropäische Konflikt ist seit dem Entschluß der Bundesregierung zur Grenzöffnung – nota bene entlang der 1945 auf der Konferenz von Jalta gezogenen Linie – öffentlich und damit politisch geworden.
Die professionellen Tonangeber und Sinnstifter in Berlin und Brüssel sind bestrebt, das Problem zu externalisieren, indem sie die östliche Renitenz zu einem Ausdruck kultureller und mentaler Rückständigkeit erklären: »Wer 57 Jahre in den Männergesellschaften der Nazis und Realsozialisten mit dieser Logik infiltriert wurde, kann sie nicht einfach abstreifen wie einen alten Mantel. Er gibt sie sogar weiter an die nächste Generation«, schrieb der Stern über die Ostdeutschen. Ähnliche Zitate ließen sich auch über Polen, Ungarn oder Tschechen nachweisen. Nach wie vor wird von der Voraussetzung ausgegangen, daß der westliche Standard das Maß der Dinge bilde und keiner Überprüfung bedürfe. »Die Westdeutschen waren aus historischer Verantwortung bereit, Geld zu zahlen. An ihrer bundesdeutschen Leitkultur hielten sie fest«, schrieb das Blatt, das im Untertitel Zeitung für Deutschland heißt. Wenn die Ostdeutschen mit dieser Kultur ein Problem haben, wird ihnen kurzerhand erklärt: »Daß man Leuten, die demokratische Prinzipien in Frage stellen, nicht auch noch mit mehr Geld entgegenkommt, gilt gemeinhin als Konsens.« In Brüssel wird unterdessen diskutiert, den Migrationsverweigerern in Budapest und Warschau die EU-Mittel zu kürzen.
Die Deutungshoheit, die hier beansprucht wird, ist eine Anmaßung. In der 1949 verabschiedeten Präambel des Grundgesetzes, die bis zum Beitritt der DDR Gültigkeit hatte, war die Rede vom »Deutschen Volk«, das sich in den damals elf westlichen Bundesländern konstituiert hatte, »um dem staatlichen Leben für eine Übergangszeit eine neue Ordnung zu geben«. Dann folgt das sogenannte Wiedervereinigungsgebot: »Es [das Deutsche Volk] hat auch für jene Deutschen gehandelt, denen mitzuwirken versagt war. Das gesamte Deutsche Volk bleibt aufgefordert, die Einheit und Freiheit zu vollenden.« Die Bundesrepublik definierte sich hier als politischer Treuhänder für die Deutschen in der damaligen »Ostzone« und späteren DDR.
Über die Ausformung des Gesamtstaates, die »Vollendung« der Einheit, würde man erst entscheiden können, wenn auch der Osten über Sitz und Stimme verfügte. In dem 1956 ergangenen KPD-Verbotsurteil ließ das Bundesverfassungsgericht offen, »ob die Ordnung des Grundgesetzes auch für Gesamtdeutschland fortbestehen oder durch eine andere Verfassungsordnung abgelöst werden soll«, und zwar unter der Voraussetzung, »daß ein gewisser Mindeststandard freiheitlich-demokratischer Garantien auch beim Zustandekommen der neuen gesamtdeutschen Verfassung« gewahrt würde.
Türkenherrschaft als prägende Erfahrung
Mit ihrem Beitritt zum Geltungsbereich des Grundgesetzes folgten die DDR-Bürger seiner Aufforderung, die Vertretung ihrer Interessen in die eigene Hand zu nehmen, sie eigenständig zu formulieren und damit den gesamtdeutschen Diskurs anzustoßen. Sie haben heute das Recht festzustellen, daß die Masseneinwanderung keinen freiheitlich-demokratischen Mindeststandard, sondern eine politische Exzentrik und einen Irrweg darstellt.
Diese Haltung teilen sie mit den Osteuropäern: Mit den Ungarn, die sich an lange Perioden der Fremdherrschaft erinnern – darunter eine einhundertfünfzigjährige Türkenherrschaft; mit den Polen, die in zwei Jahrhunderten nur kurze Phasen der Selbstbestimmung, dafür aber vier Teilungen erlebt haben; mit den Tschechen und Slowaken, die sich erst 1989 von der sowjetischen Besatzung befreien konnten. Sie alle sehen mit klarem Blick, daß die Verbreitung der okzidentalen Moderne, die Brüssel ihnen so dringend ans Herz legt, in Wahrheit das Eindringen einer afrikanisch-arabisch-islamischen Vormoderne bedeutet.
CIA-Chef Michael Hayden hat 2008 die Unregierbarkeit vieler europäischer Ballungszentren ungefähr für das Jahr 2020 prognostiziert. Bestimmte Zuwanderergruppen würden sich »rechtsfreie ethnisch weitgehend homogene Räume erkämpfen und diese gegenüber allen Integrationsversuchen auch mit Waffengewalt verteidigen«. Illusionen sind unangebracht. Weite Teile Deutschlands und Europas wurden durch Verblendung, Leichtsinn, Bequemlichkeit, Opportunismus und Dummheit bereits verspielt. Die Macht- und Hegemoniefrage ist demographisch, kulturell, politisch, sozial, gesellschaftlich und religiös vielerorts entschieden. Niemand kann ernsthaft glauben, daß die zahllosen Halb- oder Vollanalphabeten, die aus fremden, oft gewaltaffinen Kulturkreisen nach Deutschland geströmt sind, sich jemals in eine postindustrielle Gesellschaft und einen europäischen Rechtsstaat einfügen werden. Ihre Ausreise steht ebenfalls außer Betracht. Zu befürchten ist die Tribalisierung und in der Folge eine Dekultivierung bis hin zur Barbarisierung Deutschlands und Europas.
Der Wunsch Kataloniens ist nur der Anfang
Der 2014 erschienene Roman Ruhrkent aus der Feder eines Anonymus (»C. M.«) bietet einen Ausblick. Ort der Handlung ist ein autonomes Gebiet um Duisburg (hier Düskale, »eingeebnete Burg« genannt), das von einem muslimisch geprägten Völkergemisch dominiert wird. Es gehört formal noch zu Deutschland, wird aber längst nach eigenen Gesetzen regiert. Die Deutschen bilden eine unter Auflagen geduldete Minderheit. Statt »Guten Tag« ist »Salem« der gebräuchliche Gruß. Düskales Oberbürgermeister gehört der Partei für Wohlfahrt und Gemeinsamkeit an. Die Landesämter für Freundschaftsförderung, für Öffentliche Ausdrucksprägung oder für Ganzheitliche Meinungshütung sorgen für Ruhe. Unterstützt werden sie von zivilgesellschaftlichen Vereinen für gefällige Betätigung und Freundschaft. Eine selbsternannte Scharia-Polizei wird als »bürgerfreundlich-richtungsweisender Modellversuch« legalisiert und mit Geld und Uniformen ausgestattet. Die bürgerkriegsähnlichen Krawalle, mit denen die Machtfrage entschieden wurde, heißen »Ehrenaufstand«. Der Scharia-Richter Abdul-Talib stellt einem deutschen Angeklagten gegenüber klar, daß das Recht keine neutrale und abstrakte Größe ist: »Wer sich Macht erworben hat, der erhält das Recht dazu, ihm hinterhergeworfen, kostenlos als dreingegebene Gefälligkeit.« Der Roman spielt im Jahr 2052, aber längst hat unsere Zeit begonnen, den Autor zu bestätigen.
Wenige Monate nach der Grenzöffnung wandten sich die Juristen Christoph Möllers und Jürgen Bast in einem gemeinsam verfaßten Blogbeitrag gegen die Kritik, die der ehemalige Verfassungsrichter Udo Di Fabio an Merkels Einwanderungspolitik geübt hat. Sie behaupteten, grenzpolizeiliche Maßnahmen seien »kein notwendiges Instrument der Migrationssteuerung (…) und in der Praxis bei weitem nicht das wichtigste«. Und: »Die von Di Fabio als (…) zwischenstaatliches Druckmittel konzipierte Zurückweisung von Asylsuchenden an der deutschen Grenze wäre (…) ein klarer Verstoß gegen geltendes Recht.« Die Aufgabe der Verfügungsgewalt über das Territorium wird faktisch zum Verfassungsauftrag und damit die Selbstnegation zur Leitkultur erhoben – Nihilismus im Gewand der Gesetzestreue.
Welche historischen Perspektiven oder Handlungsoptionen bieten sich noch an? Den Westeuropäern, sofern sie an ihrer Identität festhalten wollen, bleibt wohl nur der elastische Rückzug nach Osten. Sie werden weite Teile der alten karolingischen Stammlande räumen und sich nach neuen Gebieten umsehen müssen. Aber auch die Sezessionsbewegungen in Katalonien, Venetien oder in der Lombardei verdienen Aufmerksamkeit. Das ethnisch, kulturell und religiös durchmischte Westeuropa könnte ein dynamisches Geflecht aus Autonomiegebieten, Sezessionen, Abwanderungen und Neuansiedlungen, Ex- und Enklaven, Korridoren, Protektoraten und Kondominien werden. Die Nationalstaaten wären weitgehend außer Kraft gesetzt, das Gebiet würde dem Flickenteppich des Heiligen Römischen Reiches ähneln und permanente Kompromißfindungen erfordern. Die angestammten Europäer wären nur noch eine Gruppe unter vielen.
Voraussetzung für ihr kollektives Überleben in Westeuropa wäre, daß sich östlich, im »neuen Europa« – das der frühere US-Verteidigungsminister Donald Rumsfeld 2002 anläßlich des Irak-Kriegs in Stellung brachte – neue politische, wirtschaftliche und geistig-kulturelle Kraftzentren etablieren, die an die Stelle der heruntergekommenen westlichen Metropolen treten. Das östliche Europa würde das bevorzugte Siedlungsgebiet für die Westflüchtigen und zugleich eine Art Garantiemacht für die Europa-Fragmente im Westen bilden. Die Grenze zwischen dem kompakten Ost- und dem segmentierten Westeuropa würde etwa entlang der alten Jalta-Linie verlaufen und wäre selbstverständlich grenzpolizeilich zu sichern. Rußland wäre als Bündnispartner willkommen, müßte in diesem Fall aber auf sein Dominanzgebaren gegenüber dem westlichen Vorfeld verzichten.
Die Teilung Europas als Rettung für morgen
Für die Deutschen wäre die europäische Ostverschiebung noch am leichtesten zu bewältigen. Ihnen verblieben die neuen Länder, die um angrenzende Regionen arrondiert würden. Sie könnten zudem in den alten deutschen Siedlungsgebieten, in Ostpreußen, Pommern, Schlesien, Böhmen und noch weiter östlich und südöstlich, auf historischem Boden jedenfalls, von dem sie einst vertrieben wurden, neue Wurzeln schlagen. Nicht als Anspruchsberechtigte, die sich auf ehemalige Grenzlinien, Eigentums- und Rechtstitel berufen würden, sondern als Neuansiedler, die die Hoheit der aktuellen Besitzer anerkennen und sich mit ihnen arrangieren. Das würde einerseits Anpassungsleistungen erfordern, andererseits Schwierigkeiten und Mißtrauen bis hin zu neuen Feindschaften mit sich bringen, die aber leichter zu ertragen wären als eine Existenz unter der Herrschaft von Clans und Umma. Den Polen, Tschechen und Ungarn hätten die Deutschen zu beweisen, daß ihre Ankunft für sie nützlich ist.
So könnte sich die einst in Jalta beschlossene Teilung Europas als grausame, im historischen Abstand aber rettende List der Geschichte erweisen, weil sie den Osteuropäern die Massenzuwanderung aus der Dritten Welt erspart. Statt weiter über östliche Rückständigkeit und Dunkelheit zu lamentieren, sollte der Westen in den Umbrüchen von 1989 neben der nachholenden auch die konservative Revolution erkennen, die ihm die Chance einer »Notbremsung« (Walter Benjamin) bietet. Die Belehrungen und verbalen Kraftmeiereien des Westens sind längst Botschaften aus einem Schattenreich. ◆
THORSTEN HINZ,
geb. 1962 in Barth/Pommern, ist freier Autor. 2004 erhielt er den Gerhard-Löwenthal-Preis für Journalisten. Zuletzt erschienen: Weltflucht und Massenwahn. Deutschland in Zeiten der Völkerwanderung, Berlin 2016 (JF Edition).