Für viele »Palästinenser« sind die deutschen Geldüberweisungen in Millionenhöhe Tribut- und Schutzgeldzahlungen. Aus ihrer Sicht ist Deutschland ein reiches, aber innerlich schwaches, konfuses und weitgehend wehrloses Land, reif zur Übernahme
Seit Jahrzehnten finanziert Deutschland dubiose Regime, Organisationen und Projekte im Nahen Osten mit Milliarden Steuergeldern. Die Statistik der offiziellen deutschen »Entwicklungshilfe« (engl. Official Development Assistance; ODA) zeigt Zahlen, bei deren Anblick einem leicht schwindlig werden kann: 3,5 Milliarden Euro in einem einzigen Jahr (2020), wovon nach Syrien 780 Millionen, in die Türkei 375, in den Irak 350, nach Jordanien 345, in den Jemen 270, in den Libanon 260 und in die Palästinensergebiete rund 200 Millionen gingen. Das sind bei weitem nicht alle Zahlungen, die Deutschland an nahöstliche Regime ausschüttet – hinzu kommen weitere Fonds zur Finanzierung von Organisationen (mit Vorliebe NGOs) und »Projekten«. (Und es ist auch nur ein Teil der deutschen ODA-Zahlungen, die zum Teil Ländern gelten, von denen man nicht im Traum für möglich gehalten hätte, daß sie deutscher »Entwicklungshilfe« bedürftig sein könnten, etwa China, das fast 500 Millionen jährlich erhält und dessen Firmen dann in Deutschland sensible Technologien aufkaufen, wodurch Deutschland weiter ins Hintertreffen gerät.)
Die delirierende deutsche Zahlungsfreudigkeit ist eingebettet in eine ähnliche Kultur rauschhafter Generosität in der Europäischen Union. Auch hier ist Deutschland führend beteiligt: 25 Prozent des Aufkommens für »Entwicklungshilfe« im Mittleren Osten sollen aus Deutschland kommen, dabei ist Deutschland nur eines von 27 Mitgliedsländern, also betrüge sein rechnerischer Anteil eigentlich nur 3,7 Prozent. Deutschland zahlt freiwillig mehr als das Sechsfache dessen, was es als Mitglied der EU zahlen müßte. Die Frage drängt sich auf: Worauf beruht dieser Eifer?
Niemand kann genau nachprüfen, wohin diese Gelder geleitet werden, in welche Kanäle, in wessen Taschen, erst recht nicht, ob ihre Verwendung irgendeinen Nutzen bringt oder Hilfe für die wirklich Hilfsbedürftigen. Deutsche Steuerzahler überlassen in gutem Glauben (und weil ihnen nichts anderes übrigbleibt) inkompetenten oder ideologisch bornierten Politikern einen großen Teil ihrer Einkünfte und Erträge, damit diese das schwer erarbeitete Geld leichthändig verstreuen können. Die öffentlichen Erklärungen zu deutschen Zahlungen sind verschwommen und undurchsichtig. Wahrscheinlich sind die Zahlen, wieviel, seit wann, durch wen und an wen gezahlt worden ist, irgendwo niedergelegt, doch ihre Veröffentlichung durch die verantwortlichen Regierungsstellen ist alles andere als transparent. Es ist mir bei der Recherche zu diesem Text nicht gelungen, die über die Jahre geleisteten Zahlungen aufzuspüren, um eine ungefähre Summe dessen angeben zu können, was insgesamt bisher von deutscher Seite in palästinensische Hilfswerke investiert worden ist. Allenfalls finden sich Angaben zu den letzten Jahren – die sind erschreckend genug. Und ich bezweifle, offen gesagt, daß selbst in den zuständigen Ministerien noch jemand einen wirklichen Überblick hat.
Allein an die Palästinensische Autonomiebehörde wurden 2021/22 Zahlungen in einem Umfang von insgesamt 340 Millionen Euro »für humanitäre Hilfe und Entwicklung« geleistet. Dabei wird von seiten der auszahlenden deutschen Ministerien vorgegaukelt, sie könnten kontrollieren, ob die üppigen Hilfsgelder tatsächlich für »humanitäre Hilfe« Verwendung finden, also für die Armen, sozial Benachteiligten unter den Palästinensern. Und niemand will genau sagen, was dort eigentlich »entwickelt« wird – angesichts des immer noch rudimentären Zustands der palästinensischen Wirtschaft kann es nicht viel sein. In einem Interview, das der durch seinen mächtigen Clan geschützte Scheich Ashraf Ja’abari, einer der wenigen offen Oppositionellen gegen die Palästinensische Autonomiebehörde (PA) des »Präsidenten« Mahmoud Abbas, der amerikanischen Journalistin Orit Arfa und mir am 20. Januar 2021 in Hebron gewährte, betonte er: »95 Prozent unserer Waren des täglichen Bedarfs kommen noch immer aus Israel. Treibstoff, Nahrungsmittel, Elektrizität, Wasser. Dazu etwa eine halbe Milliarde Schekel jährliche Steuerrückzahlungen« für die mehreren hunderttausend palästinensischen Arbeiter, die von der PA an israelische Arbeitgeber vermietet werden. Mit anderen Worten: Es ist der 1994 gegründeten Palästinenserbehörde in den drei Jahrzehnten ihres Wirkens und ihrer üppigen Bezuschussung durch Deutschland und die Europäische Union nicht gelungen, auch nur ansatzweise eine eigene Versorgung ihrer Bevölkerung zu »entwickeln«. Wozu dann also die Milliardenzahlungen unter dem Label »Entwicklung«?
Niemand in Deutschland kann nachprüfen,
wohin die Gelder geleitet werden
Außer den 340 Millionen Euro für die sich offensichtlich nicht »entwickelnde« Behörde sollen zudem nach Angaben des Bundesministeriums für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (BMZ) für »nicht staatliche Entwicklungszusammenarbeit« im Jahr 2021 »über die strukturbildende Übergangshilfe 57 Millionen Euro für mehrjährige Vorhaben in den Palästinensischen Gebieten zugesagt« worden sein (Spiegel Online, 18. August 2022). »Darüber hinaus seien im Jahr 2021 Vorhaben im Rahmen kommunaler Städtepartnerschaften von Kirchen, politischen Stiftungen und Nichtregierungsorganisationen in einer Größenordnung von rund 20 Millionen Euro unterstützt worden.« Wir kommen also, wenn wir die Zuwendungen aus verschiedenen deutschen Ministerien und anderen Quellen ungefähr in Anschlag bringen, auf wirklich atemberaubende Summen in »Entwicklungshilfe«. Doch was bewirken sie? In besagtem Interview in seinem schwerbewachten Haus in Hebron wies Ashraf Ja’abari darauf hin, daß die PA seit ihrem Bestehen »nicht ein einziges Krankenhaus gebaut« habe (die in den »Gebieten« existierenden stammen allesamt aus der Zeit der jordanischen Besatzung; das in Hebron beispielsweise sei um 1966 gebaut worden), auch keine einzige richtige Schule (Barackenbauten zur Besetzung von umstrittenem Land nicht gerechnet), und die Projekte und Hilfsprogramme, für die das Geld gezahlt wurde, würden in der Realität gar nicht ausgeführt. Ja’abari schätzt, daß 70 Prozent der Entwicklungshilfe schlicht und einfach von den Funktionären der Abbas-Behörde veruntreut werden.
»Sie schlagen Geld aus dem Konflikt.
Sie sind Händler mit Blut«
»Sie schlagen Geld aus dem Konflikt«, sagte er. »Sie nehmen eine Menge Geld. Aber sind nicht darum bemüht, die Probleme zu lösen. Sie sind Händler mit Blut.« Eigentlich war an die Zahlungen der EU die Bedingung demokratischer Wahlen und Strukturen geknüpft, doch deutsche Medien wissen längst: »Kritiker beschuldigen Abbas der Korruption – er blähte die Palästinenserbehörde immer wieder mit zusätzlichen Stellen auf. Die israelische Regierung wirft der EU darüber hinaus vor, daß Fördergelder regelmäßig an die Familien von Terrorattentätern gehen. Die Rede ist von sogenannten ›Märtyrerrenten‹ – Geld für die Hinterbliebenen von Terroristen, die Israelis getötet haben.« Nach Angaben der NGO Palestinian Media Watch (PMW) waren dies im vergangenen Jahr rund 2,8 Millionen Dollar. »Der 87jährige [Abbas] weigert sich beharrlich, Wahlen durchzuführen – obwohl die eigentlich eine Bedingung für die Unterstützung durch die EU sind. Zuletzt wurde vor 18 Jahren gewählt« (Tagesschau.de, 9. Oktober 2023).
So weit die deutschen Zahlungen an Mahmoud Abbas’ Autonomiebehörde in der Westbank. Wie verhält es sich nun mit den Geldern »für die Palästinenser in Gaza«? Das Herzstück der deutschen (und anderer westlicher) Spenden ist die United Nations Relief and Works Agency for Palestine Refugees in the Near East (UNRWA; dt. Hilfswerk der Vereinten Nationen für Palästina-Flüchtlinge im Nahen Osten), gegründet 1949. Dieses eigentlich als temporäre Lösung geplante Hilfswerk ist eine in ihrer Art singuläre Organisation der UN, da sie ausschließlich »Palästinenser« betreut, also betont kein internationales Anliegen verfolgt, wie es eigentlich Aufgabe der UN-Hilfswerke wäre. Unter »Palästinensern« versteht die UNRWA »Personen, deren ständiger Wohnsitz zwischen 1946 und 1948 in Palästina lag und die diesen Wohnsitz und ihre Lebensgrundlage durch den Arabisch-Israelischen Krieg von 1948 verloren haben«. Inzwischen finanziert sie jedoch, da die meisten eigentlichen »Palästina-Flüchtlinge« verstorben sind, deren millionenfache Nachkommen. Dies ist die erste Absurdität des Hilfswerks: Die »Palästina-Flüchtlinge« wurden durch Pseudoflüchtlinge ersetzt, die immer noch Bedürftigkeit geltend machen, als wären sie gestern vertrieben worden.
Der Flüchtlingsstatus wird künstlich verlängert, ja verewigt. Die UNRWA unterhält Einrichtungen in Jordanien, Syrien, Libanon, dem Gazastreifen und dem Westjordanland, denn überall dort leben auf ihrem Flüchtlingsstatus beharrende Palästinenser. Das reguläre Budget der UNRWA belief sich im Jahr 2023 auf etwa 1,6 Milliarden US-Dollar (gegenüber ca. 1,2 Milliarden 2013). Davon trägt Deutschland, obwohl nur einer von 193 UN-Mitgliedsstaaten, über 10 Prozent (»Germany is the second largest donor to UNRWA with an overall contribution of more than EUR 190 million in 2022« (Deutsches Auswärtiges Amt, Pressemitteilung des Vertretungsbüros Ramallah, 28. Juli 2023). Unter der Kanzlerschaft Angela Merkels wurden diese Zahlungen drastisch erhöht: »Die jährlichen Zahlungen Deutschlands an das UN-Hilfswerk für Palästinaflüchtlinge (UNRWA) sind seit 2005 um über 2 600 Prozent gestiegen« (Antwort der Bundesregierung auf eine Anfrage der Bundestagsabgeordneten Beatrix von Storch, 7. März 2018).
Das Täuschen der Geldgeber ist lange eingeübt
und gehört zur Kultur
Staaten wie Jordanien, Syrien und der Libanon wurden dazu ermutigt, ihre »Palästina-Flüchtlinge« schlecht zu behandeln und weder sie noch ihre Nachkommen zu integrieren; sie campieren dort seit 75 Jahren in »Flüchtlingslagern«. Was insbesondere die Zahlungen an die UNRWA-Zentrale in Gaza betrifft, liegt die tatsächliche Kontrolle über die Vergabe der deutschen (und der sonstigen) Hilfsgelder bei der Hamas, die dort eine totalitäre Terrorherrschaft errichtet hat. Unter einer dünnen Führungsschicht internationaler UN-Funktionäre (derzeitiger Generalkommissar ist der Schweizer Philippe Lazzarini) sind mehr als 90 Prozent der Mitarbeiter in Gaza lebende Araber, und die Vergabe dieser Jobs wird natürlich, wie alles von Bedeutung, von der Hamas bestimmt.
Generell können die deutschen Regierungsstellen die Vergabe von Geldern im Nahen Osten kaum überprüfen, da ihnen der Einblick in die Verhältnisse verwehrt bleibt. Mit ihren für Außenstehende undurchschaubaren, auf Clan- und Stammesstrukturen basierenden Netzwerken, die selbstverständlich inoffiziell und unerwähnt, sozusagen »unterirdisch« bleiben, tricksen die Vor-Ort-Mitarbeiter erfolgreich jede westliche Überprüfung aus. Das ist lange eingeübt, bis zur Perfektion. Das Täuschen des Geldgebers gehört zu ihrer Kultur, es wird in diesem Fall nicht mal als Täuschung (Taqiya) wahrgenommen. Generosität meint in ihrer Tradition Geben ohne Bedingungen, ohne Überprüfung. Der Geber gilt in diesem Geschäft als der schwächere Teil, als Gewinner die Geld eintreibende islamische Entität. Aus Sicht der Bewohner von Gaza ist es die Hamas, die das Geld beschafft hat und es verteilt – daher befestigen diese Zahlungen in Wahrheit deren Macht.
Wie die Hamas in Gaza mit großer Ausdauer, viel Fleiß und viel europäischem Geld ein System betonierter Tunnel erbaut hat (zum Schmuggeln von Waffen und Rauschgift, als Versteck ihrer Führer und als Gefängnis für Geiseln), so werden auch die Hilfsgelder durch ein System von »Tunneln«, verdeckten Kanälen und Scheinorganisationen jeder fremden Einsicht entzogen. Beteuerungen der deutschen Außenministerin oder anderer Verantwortlicher, sie wüßten, daß die für »humanitäre Hilfe« oder »Entwicklung« bestimmten Gelder tatsächlich den Hilfsbedürftigen beziehungsweise zu entwickelnden Projekten zugute kommen, entbehren jeder Grundlage. Sie sind reine Rhetorik zur Beruhigung ihrer eigenen Bevölkerung, die diese Mittel seit Jahrzehnten aufbringen muß.
Äußerungen deutscher Medien, vor allem in den letzten Wochen unter dem Schock der von der Hamas begangenen Grausamkeiten in Israel und angesichts der immer aggressiver und fordernder auftretenden militanten Muslime in Deutschland selbst, verraten ihre gute Kenntnis der hier skizzierten korrupten Zustände. Auch ein Kenner der Verhältnisse wie Scheich Ja’abari betonte im Interview mehrmals die Mitwisserschaft der europäischen Geldgeber: »They know everything.« Hiervon ausgehend, zudem in Anbetracht dessen, daß die weitere, sogar noch zunehmende Finanzierung von Einrichtungen wie der PA oder UNRWA Deutschland de facto keinen Nutzen bringt und an der Masse der »Palästinenser« vorbeigeht, muß man sich die Frage stellen: Warum zahlt Deutschland weiter? (Andere Staaten wie die Schweiz, Belgien, die Niederlande oder Neuseeland haben nach den Enthüllungen über das korrupte Wesen der UNRWA 2019 ihre Unterstützung für das »Hilfswerk« ausgesetzt.)
Handelt es sich überhaupt noch um »Entwicklungshilfe« oder – zumindest aus Sicht vieler »Palästinenser« – längst um Tribut- und Schutzgeldzahlungen? Für die »Palästinenser« ist Deutschland ein reiches, aber innerlich schwaches, konfuses, weitgehend wehrloses Land, reif zur Übernahme, das jene, die es bedenkenlos herbeigerufen und hereingelassen hat, bei Laune halten muß – sie sind derzeit das größte Potential massiver innenpolitischer Gefahr und Bedrohung. ◆
CHAIM NOLL,
geb. 1954 als Hans Noll in Berlin, ist Journalist und Schriftsteller. Noll lebt seit 1995 in Israel und unterrichtet an der Universität in Be’er Scheva. Jüngste Publikation: Scharia und Smartphone. Texte zum zeitgenössischen Islam (Hess)