Auf der 13. Vanenburg-Konferenz des »Center for European Renewal« in Riga, dem jährlichen Treffen europäischer Konservativer, hielt Organisator Jonathan Price in diesem Jahr das folgende Kurzreferat, in dem er darlegt, daß die Oikophilie die notwendige Vorbedingung einer jeden Xenophilie ist. Nur wer bei sich selbst zu Hause ist, kann den anderen zu sich einladen. Und wenn er das tut, dann tut er es freiwillig.
So, wie wir hier versammelt sind, wehren wir uns gegen viele populäre »Ismen«: gegen Transnationalismus, gegen radikalen Feminismus und zum Glück auch gegen Rassismus. Es gibt aber auch einen »Ismus«, der uns verbindet, ich meine den Konservatismus. Was bedeutet er für uns? – Ich stelle drei Prinzipien und zwei Wertvorstellungen vor, von denen ich glaube, daß sie, wenn man sie ernst genug nimmt, unseren Heimatländern und damit auch unserer gemeinsamen Kultur Segen bringen und sich dadurch auch auf diejenigen positiv auswirken werden, die auf der Suche nach einem neuen Zuhause zu uns kommen.
Die jährliche Vanenburg-Konferenz wird schon seit dreizehn Jahren in jeweils einer europäischen Hauptstadt abgehalten. Diesmal haben sich fast neunzig Konservative aus ganz Europa und Nordamerika in Lettland versammelt. Wir wollen verschiedene Möglichkeiten aufzeigen, was es bedeutet, »Europäer zu sein«. Diese Möglichkeiten existieren ganz und gar unabhängig vom politischen oder kulturellen Kurs Brüssels. Das heißt nicht, daß wir internationale Gemeinschaften aufkündigen wollen. Wir sind »weltoffene Konservative«, »Europabummler«, nur eben keine »Weltenbummler«. Und wir alle gehören intellektuellen Zirkeln an. Intellektuelle beschäftigen sich mit Ideen. Das Thema unseres diesjährigen Treffens lautet »Europa: urban, ländlich oder kosmopolitisch?« Welche Ideen erwarten wir dazu von konservativer Seite?
Ordnung, Zugehörigkeit
und Freiheit werden von
aggressiven Ideologien bedroht
Ich beginne mit den drei Prinzipien: Das erste heißt »Ordnung« (order), das zweite »Zugehörigkeit« (belonging) und das dritte »Freiheit« (freedom). »Ordnung« meint die grundlegende Sicherheit der Person, des Eigentums und der lebensnotwendigen Vorkehrungen. »Zugehörigkeit« umfaßt viele Dinge, aber ich schlage vor, daß wir uns in diesem Kontext auf die »kulturelle Zugehörigkeit« konzentrieren, also auf Sprache, Gebräuche, Umgangsformen, Moralvorstellungen, aber auch auf akzeptable Formen der Regierung und Staatsführung.
Wir erkennen, daß die Kultur, nach der Ordnung, wichtiger ist als jedes andere Erfordernis, und wo diese beiden gesichert sind, ist wiederum die Freiheit wichtiger als alles andere. Zuerst kommt die Freiheit, Gutes zu tun, und danach die Freiheit, in Ruhe gelassen zu werden. Gemeint ist also sowohl positive als auch negative Freiheit. Beginnen wir mit der positiven, denn alle Freiheit hat ein und dieselbe Quelle (insofern es sie ohne Schöpfung, Ordnung und Kultur prinzipiell gar nicht geben kann).
Um Ordnung, Zugehörigkeit und Freiheit zu bewahren, bildden wir einen Kreis, der von verschiedenen aggressiven Ideologien umlagert wird. In diesem gemeinsamen Kampf besitzen wir alle miteinander, wie Wittgenstein sagte, eine Art »Familienähnlichkeit«, die oft sogar größer ist als die mit unseren jeweiligen Landsleuten. Darüber hinaus verbindet uns ein innerer Zusammenhalt, der auf gemeinsamen Vorstellungen von Treue beruht. Auch sind wir sehr dankbar für die Quellen von Ordnung, Kultur und Freiheit, von denen wir zehren. Das kann zum Beispiel unser Glaube sein oder der Glaube unserer Vorfahren. In diesem Raum befinden sich Christen, Juden und mindestens ein Muslim. Es kann auch unsere nationale oder regionale Kultur sein, unsere ländliche oder bürgerliche Identität oder unsere Zivilisation, ganz gleich, ob sie als westlich, europäisch oder jüdisch-christlich angesehen wird; es können unsere politischen, juristischen und bildungspolitischen Traditionen und Institutionen sein oder unsere Familien oder die Familie an sich, der engste Kreis oder der erweiterte, je nachdem, was wir als das wahre Fundament einer sozialen Ordnung und nicht als fiktiven Gesellschaftsvertrag anerkennen. Wir sind sehr dankbar für diese und andere Quellen unserer Ordnung, Zugehörigkeit und Freiheit.
Eine Nation ist kein Haus,
aber eine Kultur
kann ein Zuhause sein
Fehlen noch die beiden angekündigten Wertvorstellungen. Mit ihnen verhält es sich schon etwas schwieriger: Ich meine Vergebung und Dankbarkeit. Sir Roger Scruton, der auch zu unserem Kreis zählt, betrachtet Dankbarkeit und Vergebung als zwei unverzichtbare Züge des konservativen Geistes. Zugleich sind es Haltungen, ohne die es keine Politik des Möglichen geben kann. Solch ein konstruktiver Konservatismus ist weder die Reaktion auf eine Revolution noch die Vergesellschaftung von Ressentiments, sondern eine positive Kraft zum Schutz geordneter Freiheit.
Vergebung beginnt mit der Wahrheit – Wahrheit über eine echte Wunde oder Sünde – und endet in der Versöhnung der zerstrittenen Personen. Da Vergebung mit dem ehrlichen Blick auf die Welt beginnt, wie sie ist, und auf die anderen Menschen, wie sie nun einmal sind, kann sie Vollkommenheit weder erhoffen noch erreichen. Die Liebe zur Wahrheit ist nur der Weg zum Guten.
Als Konservative müssen wir denen, die uns im Stich lassen, einschließlich der Institutionen, die das ebenfalls tun, vergeben. Wir tun das, indem wir zuerst die Verfehlung selbst zum Ausdruck bringen und dann die Versöhnung anstreben. Im Ergebnis kann eine solche echte Versöhnung erfüllten Frieden und geordnete Harmonie bewirken – im Unterschied zum leeren Frieden, der nur die Abwesenheit von Streitigkeiten bedeutet. Erfüllter Frieden öffnet einen Freiraum, in dem man sich erholen, niederlassen und zu Hause fühlen kann. Und dies ist genau das, was uns fehlt. Uns fehlt die Freiheit, uns zu Hause zu fühlen.
Nur diejenigen, die wirklich zu Hause sind, können freiwillig Fremde willkommen heißen. Andernfalls lädt man Fremde dazu ein, teilzuhaben an dem eigenen Gefühl der Obdachlosigkeit, oder noch schlimmer, man lädt sie gleich in das Haus eines Dritten ein. In den meisten unserer Heimatländer ist die Grundordnung gesichert. Bestimmte positive und negative Freiheiten sind durch Gesetze und Gewohnheiten garantiert. Es ist die Kultur, die früher als felsenfest galt und sich nun in Luft auflöst. Wir können die Frage, wie viele Migranten wir aufnehmen sollten, nicht beantworten, wenn wir nicht einmal guten Gewissens sagen können, wer »wir« selber sind; wenn wir nicht dankbar für das sind, was uns mitgegeben wurde, und wenn wir denen, die uns im Stich gelassen haben, nicht vergeben können. Eine Nation ist kein Haus, aber eine Kultur kann ein Zuhause sein. Eine gut aufgestellte Gesellschaft kann einer oder mehreren Nationen die Voraussetzungen für ihr kulturelles Zuhause bieten.
Wir Vanenburger suchen Wege zur Heimkehr, aber nicht unbedingt in die Provinzialität der Vergangenheit. T. S. Eliot sagte einmal: »Wir werden nicht aufhören zu forschen, und am Ende all unserer Forschungen werden wir wieder dort stehen, wo wir anfingen und wir werden diesen Ort zum erstenmal erkennen.« »Wir« werden gewiß nicht zu demselben, überall gleichen »europäischen« Ort zurückkehren, sondern zu den vielen unterschiedlichen Arten, Europäer zu sein, die für unsere Vorfahren das Zuhause waren, in dem sie Fremde willkommen hießen.
Und so sind wir zurück beim Thema Migration. Gastfreundschaft ist die grundlegendste aller menschlichen Pflichten, und das geht sogar so weit, daß Zeus in der Orestie der Gott des Gastes und des Gastgebers genannt wird. Als solcher ist er der Herr aller privaten und öffentlichen menschlichen Beziehungen. Auch der Trojanische Krieg wurde zu Recht wegen des Verrats an der Gastfreundschaft geführt. Laßt uns als Europäer also schwören, so gastfreundlich wie möglich zu werden, ohne aus den Augen zu verlieren, wer wir sind. Die Heimkehr ist unser einziger Weg zu nachhaltiger Gastfreundschaft. ◆
JONATHAN PRICE
geb. 1981, ist Fellow am »Zentrum zur Förderung von Bildung und Kultur nach Papst Johannes Paul II.« in Warschau und Herausgeber von Politics & Poetics (www.politicsandpoetics.co.uk).