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KRIEG UM DEN NORDPOL

3. Juni 2025 von ULRICH VOSGERAU

Rußland und China haben eine Front im Nordpolarmeer eröffnet.
Die USA sind nun auf diesem möglichen künftigen Kriegsschauplatz viel zu spät erschienen und versuchen Versäumtes aufzuholen

Foto: Adobe Stock/murattellioglu
Schon in wenigen Jahren könnten immer größere Gebiete in der Arktis eisfrei werden. Dies würde den Zugang zu unvorstell­baren Rohstoffressourcen frei machen.

Die Neuorientierung der USA unter Präsident ­Trump in der Ukrainefrage – nämlich der Abbruch des Diskurses über Schuld- und Völkerrechtsfragen und der Wille zum unverzüglichen Übergang in einen Zustand, in dem nicht immer weiter Kapital und Werte durch Kriegshandlungen vernichtet, sondern den USA endlich nutzbar gemacht und zugeführt werden – hat europäische, insbesondere deutsche Beobachter schockiert. Dabei war diese Wende, die sich wohl auch unter jeder anderen US-Regierung früher oder später hätte vollziehen müssen, im Grunde nicht so schwer vorherzusehen. Denn durch den Überfall Rußlands auf die Ukraine und die ihm folgende – bei Anlegung völkerrechtlicher Maßstäbe denn auch unausbleibliche – Parteinahme der USA und der EU für die Ukraine war geopolitisch eine zunehmend katastrophale Situation für die Verteidiger des Völkerrechts entstanden.
Man glaubte anfangs mit Rußland schon fertig zu werden. Im mit Abstand größten Flächenstaat der Welt verteilt sich in etwa die Bevölkerungszahl Japans, die – insofern ähnlich wie im Westen – einer beschleunigten Islamisierung durch höchst ungleiche Geburtenraten in den unterschiedlichen Bevölkerungsgruppen unterliegt, während die Slawen zusehends aussterben. Das Bruttoinlandsprodukt ist mit dem Italiens zu vergleichen, allerdings nur zahlenmäßig; in den vierzig Jahren seit dem Zusammenbruch der Sowjetunion (dieser beginnt bereits spätestens im Jahr 1985) ist es Rußland, ganz anders als etwa China, niemals ansatzweise gelungen, eine auf wissenschaftlich-technischem Fortschritt und Innovation aufbauende Exportindustrie aufzubauen beziehungsweise sich als attraktiver Unternehmens- und Produktionsstandort im internationalen Wettbewerb zu profilieren. Daher beruht die Wirtschaftsleistung Rußlands bis heute auf dem Export von Rohstoffen und Energie, die vor allem in Sibirien in unvorstellbaren Mengen vorhanden sind und ohne jede Rücksicht auf den Umweltschutz abgebaut werden.

Die Vorstellung, Rußland durch Sanktionen zu schwächen, erwies sich als falsch

Die Vorstellung, Rußland – wegen seiner Abhängigkeit vom Rohstoffexport – durch Sanktionen in die Knie zwingen zu können, erwies sich als völlige Selbstüberschätzung des Westens in einer Welt, in der die vom demographischen wie sittlichen Zusammenbruch geprägten »westlichen« Staaten inzwischen alles andere als ein Vorbild für aufstrebende Entwicklungsländer sind. Nicht nur BRICS-Staaten wie Indien deklarierten russisches Öl jederzeit gern zu indischem Öl um, um es in die EU zu exportieren; auch EU-Staaten wie Griechenland, auf dessen Tankerflotten das Öl transportiert wird, wollten mitprofitieren. Viel schwerer jedoch wog die Erkenntnis, durch die Parteinahme gegen Rußland dieses nun zu einem fast unerschöpflichen und enorm preiswerten Rohstoff- und Energielager für China gemacht zu haben. Die neue US-amerikanische Linie ist daher nur folgerichtig: Verständigung mit Rußland jedenfalls in dem Maße, das zum weiteren Zugang zu russischen Rohstoffen erforderlich ist, und rascher Zugang zu den ukrainischen Rohstoffen (u. a. seltene Erden) letztlich durch Aufteilung des Landes in eine westliche und eine östliche Interessensphäre.
Dies alles folgt der Logik, daß eine Restitution des ukrainischen Territoriums (einschließlich sogar der Rückgabe der Krim, deren Annexion völkerrechtlich natürlich nicht anerkannt werden kann) mit vertretbarem Aufwand nicht herbeizuzwingen wäre – und daß, selbst wenn dieses Ziel durch den Westen mit letzter Kraft doch erreicht werden könnte, es auch nur dazu führen müßte, daß die russischen Ressourcen nun eben künftig den Chinesen ganz allein gehören. Einer anderen Logik folgen – und zwar von allen Seiten – geopolitische Auseinandersetzungen, in deren Rahmen die Eigentümerstellung an Rohstoffen und Energie eben noch nicht geklärt ist. Und das bedeutet: Während der Krieg in der Ukraine nun erkennbar beendet werden soll, wird es Krieg um den Nordpol geben.
Schon in wenigen Jahren könnten immer größere Gebiete in der Arktis eisfrei werden. Dies würde nicht nur eine Revolutionierung der Seeschiffahrt und der Handelswege bedeuten, sondern auch den Zugang zu unvorstellbaren Rohstoffressourcen frei machen. Die Reichtümer der Welt liegen unter dem Nord­pol­eis. In dieser Situation vertritt derzeit die Volkrepublik China, die ansonsten Taiwan gern mit Annexion bedroht, die »völkerrechtsfreundlichste« Position, indem sie entsprechend dem internationalen Seerechtsübereinkommen darauf beharrt, Arktis und Meeresboden gehörten zum »common heritage of mankind«. Allerdings auch nur, weil sie kein Anrainer ist. Anrainer der Arktis sind Kanada, die USA (über Alaska), Dänemark (als Schutzmacht von Grönland), Norwegen und Rußland. Diese Mächte berufen sich auf die völkergewohnheitsrechtliche Lehre vom »ausschließlichen Wirtschaftsgebiet«, das sich bis zu 200 Seemeilen vor der Küste beziehungsweise dem Festlandssockel eines Landes erstreckt (deswegen kann zum Beispiel Norwegen das Nordseeöl auch in Hochseegebieten fördern). Am weitaus aggressivsten tritt insofern Rußland auf, das nichts weniger als völkerrechtliches Eigentum am Nordpol für sich selbst in Anspruch nimmt und dies 2007 durch unterseeisches Abstellen einer Rußlandfahne auf dem Nordpol durch ein U-Boot demonstrierte. Hintergrund dessen ist die Behauptung, der russische Festlandssockel erstrecke sich bis weit in die Arktis hinein. International wird das nicht anerkannt. Die UN-Sockelkommission hat zwar 2023 weite Teile der von Rußland eingereichten Geodaten als korrekt übermittelt akzeptiert, die entsprechende Prüfung der später eingereichten »konkurrierenden« dänischen und kanadischen Daten wird jedoch erst Mitte der 2030er Jahre abgeschlossen sein; über völkerrechtliche Ansprüche entscheidet die Kommission ohnehin nicht.
Worüber man sich international hingegen keine Illusionen macht, ist der Umstand, daß Rußland längst nicht mehr selbständig ist, sondern als eine Art bewaffneter Laufbursche der Chinesen auftritt, die einen Zweifrontenkrieg gegen die USA vorbereiten. Denn neben dem Kampf um den Nordpol wird es früher oder später zur großen Entscheidung im Indo­pazifik kommen, den China (das dann auf einmal nichts mehr vom »common heritage of mankind« wissen will) zunehmend als eigenes maritimes Hoheitsgebiet behandelt. Seitdem der Westen Rußland wegen des Embargos keine Satellitendaten mehr liefert, nutzen die Russen chinesische Satelliten zur Kommunikation und Navigation. Daß Rußland ursprünglich einmal die Aufnahme Chinas in den Arktischen Rat blockiert hatte, ist heute kaum mehr vorstellbar – inzwischen werden überall in der Arktis Relaisstationen für chinesische Satelliten gebaut. Chinesische Jagdbomber, die gelegentlich in den nordamerikanischen NORAD-Überwachungsraum eindringen, starten von russischen Startbahnen.

Überall in der Arktis werden Relaisstationen für chinesische Satelliten gebaut

Die Ankündigung des US-Präsidenten, perspektivisch Kanada wie auch Grönland (sei es als neue Bundesstaaten oder anderweitig) in das Territorium der USA integrieren zu wollen, hat dort wie auch in Dänemark ratlose Empörung ausgelöst. Auch in Norwegen ist die Besorgnis groß. Dort will man die erreichbaren Ressourcen auf dem Grund des Nordatlantiks selbst ausbeuten und fürchtet, daß die US-Amerikaner zur Abrundung ihrer ausschließlichen Wirtschaftszone auch nach der Insel Spitzbergen greifen werden. Eine andere Frage wäre, ob eigentlich auch die Taiwaner über entsprechende Ankündigungen empört oder mittlerweile nicht auch erleichtert wären. Diese werden indessen ausbleiben, gibt es doch in Taiwan kaum Rohstoffe, jedoch die mit Abstand leistungsfähigste Chip-Industrie der Welt, die man aber, anders als Rohstoffe, auch verlegen könnte; ob eher nach China oder in den Mittleren Westen der USA, wird dann ein Thema des kommenden großen Pazifikkrieges sein. Die Norweger sehen sich ihrerseits seit Jahren mit einer enormen russischen Aufrüstung etwa auf der Halbinsel Kola oder der Inselgruppe Franz-Josef-Land konfrontiert, kombiniert mit hybrider Kriegführung wie dem seit Jahren laufend praktizierten Kappen von Unterseekabeln etwa vor Spitzbergen.
Sowenig aber der Wille zur Verteidigung des Völkerrechts im Rußland-Ukraine-Konflikt mittelfristig viel an der Präponderanz geopolitischer Rohstoffinteressen ändern konnte, so wenig bildet das Beharren militärisch machtloser Länder auf ihrer nationalen Souveränität ein effektives Gegengewicht in einem geopolitischen Interessenkonflikt mit China und Rußland. Während in den USA spätestens seit ­Obama die Pivot-to-Asia-Doktrin galt (diese geht, ebensowenig wie der Grundsatz »America First« oder die Zwei-Prozent-Verpflichtung in der Nato, mitnichten erst auf ­Donald ­Trump zurück), hat China längst eine zweite Front im Nordpolarmeer eröffnet. Die USA sind nun auf diesem möglichen künftigen Kriegsschauplatz viel zu spät erschienen und versuchen Versäumtes aufzuholen, nachdem übrigens Präsident ­Truman im Jahre 1946 bereits versucht hatte, Dänemark Grönland für 100 Millionen Dollar abzukaufen. Ersatzweise wurde dann 1952 die Thule Air Base errichtet, damals primär zur Früherkennung einfliegender sowjetischer Atomraketen. Heute käme wesentlich auch die Detektion von U-Booten hinzu.
Nicht nur um Rohstoffe wird es in den großen Konflikten der Zukunft gehen, sondern auch um Seewege. Der in den beiden angelsächsischen Jahrhunderten stets akzeptierte, auf ­Hugo ­Grotius (1583–1645) zurückgehende Völkerrechtsgrundsatz vom Mare Liberum wird von China im Südchinesischen Meer nicht mehr durchgehend anerkannt. Ob der Westen die freie Durchfahrt eigener Handelsschiffe zu den großen Märkten der Zukunft dort noch lange ohne weiteres sicherstellen kann, ist längst mehr als zweifelhaft geworden. Gleichzeitig fühlt sich China auf die Erschließung polarer Seewege (»polare Seidenstraße«) angewiesen; zwei Eisbrecher hat China in diesem Zusammenhang bereits angeschafft, ein weiterer, atomgetriebener soll sich im Bau befinden. Auch insofern wird gelten, daß nur eine hinlängliche Militärpräsenz des Westens und der USA in der Arktis ein »Do ut des« sichern kann. ◆

Picture of ULRICH VOSGERAU,

ULRICH VOSGERAU,

promovierter und habilitierter Rechtswissenschaftler, lehrte als Hochschullehrer an mehreren Universitäten Staats- und Verwaltungsrecht. Heute Rechtsanwalt und Autor in Berlin. 2018 erschien sein Buch Die Herrschaft des Unrechts über die Rolle von Staat und Medien in der Asylkrise.

No. 3 | 2025

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Kategorie: Artikel Stichworte: Artikel, Vosgerau

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