Seit jeher reibt sich die Bundesrepublik – ehrendem Gedenken zum Trotz – an dem Hitler-Attentäter CLAUS SCHENK GRAF VON STAUFFENBERG. Ein neues Buch versucht nun, ihn vor politischer Vereinnahmung zu schützen. Das kostet einen hohen Preis. Es scheint uns zu gehen wie Shakespeares Macbeth, der von sich sagt: »Alles ist Tand, gestorben Ruhm und Gnade«
Foto: Hagen Weimar
Seinen Ehrensäbel hatte Stauffenberg als junger Mann 1930 anläßlich seiner Beförderung zum Leutnant erhalten, als Jahrgangsbester auf der Kavallerieschule Bamberg. Nach dem Krieg galt der Säbel als verschollen, bis ihn 1999 ausgerechnet der frühere DKP-Chef Herbert Mies dem Bonner Haus der Geschichte überreichte.
Stauffenberg ist keine populäre Figur. Deshalb erreichen die Debatten über seine Person, seine Tat und seine Bedeutung nie ein breiteres Publikum. Das gilt trotz des Erfolgs, den der Film Operation Walküre (2008) mit Tom Cruise in der Hauptrolle auch hierzulande hatte. Das gilt, obwohl sich die Forschung intensiv mit jeder Facette des Widerstands beschäftigt hat und der 20. Juli 1944 seit Gründung der beiden Nachkriegsstaaten ein Datum von geschichtspolitischer Bedeutung war. Aber die Strahlkraft blieb gering. Das hatte anfangs damit zu tun, daß die Masse der Bevölkerung den Motiven des Anschlags distanziert, wenn nicht ablehnend gegenüberstand. Braune Unbelehrbarkeit konnte dabei eine Rolle spielen, mußte es aber nicht. Der Sozialdemokrat Helmut Schmidt äußerte Mitte der sechziger Jahre ausdrücklich Verständnis angesichts der Vorbehalte. Für ihn wie für andere ehemalige Wehrmachtsangehörige stand im Zentrum, daß die Verschwörer »das Leben vieler Soldaten an der Front zusätzlich gefährdeten, während andererseits die von uns für sittlich geboten erachtete ›Pflichterfüllung‹ zur Verteidigung unseres Landes gleichzeitig und zwangsläufig der Fortdauer des Hitler-Systems zugute kam. Anders ausgedrückt: Wir hofften auf das Ende der Nazi-Herrschaft und konnten doch die bedingungslose Niederlage unseres Volkes keineswegs wünschen!«
Neben die Wahrnehmung und Wertung der Erlebnisgeneration trat zu dem Zeitpunkt allerdings schon ein Prozeß der Historisierung des Widerstandes, der nicht nur zur Untersuchung jedes Details der Abläufe führte, sondern auch die Leitideen der Opposition in ihren Kontext einzuordnen begann. Damit wurde deren Fremdheit aber nicht schwächer, sondern stärker. An die Stelle der Kritik »von rechts« unter Berufung auf Eid, Disziplin und nationales Interesse, die bis dahin vorherrschten, trat eine Kritik »von links« im Namen von Modernität, Liberalismus und Hypermoral. Der Widerstand, vom Kreisauer Kreis über die Honoratioren und die älteren Militärs bis zur Gruppe um Stauffenberg, erschien immer weniger als Alternative zum fatalen deutschen Sonderweg, immer mehr als desen Variante. Man bestätigte im Grunde erleichtert die zynischen Bemerkungen, mit denen Kommunisten und alliierte Führung das Scheitern des 20. Juli begrüßt hatten. In Bertolt Brechts Arbeitsjournal findet sich eine Notiz über »die blutigen vorgänge zwischen hitler und den junkergenerälen«, bei denen er »für den augenblick hitler den daumen« gehalten habe, da nur der in der Lage sei, den unumgänglichen Klassenmord an der alten Führungsschicht zu vollziehen. Eine Auffassung, die sich nur um Nuancen von den Äußerungen Churchills vor dem Unterhaus unterschied; und nun kamen im Nachkriegsdeutschland die Jungen und meinten keck, es wäre für den Fall des Erfolges der Verschwörer »am ehesten noch ein schwarz-weiß-roter Ständestaat entstanden; gewissermaßen das Dritte Reich minus Hitler, Rassenwahn und KZ« (Initiative Leutnante 70).
Eine Konsequenz dieser neuen Einschätzung war, daß den wichtigsten Trägern der Opposition die Vorbildhaftigkeit abgesprochen wurde. An ihre Stelle setzte man als Muster solche, die bis dahin wegen ihrer Zielsetzungen (Kommunisten und obskure Antifaschisten), ihrer Bereitschaft zu Landesverrat und Sabotage (Rote Kapelle) oder ihrer Methoden (Edelweißpiraten) als inakzeptabel gegolten hatten. Diese Unterwerfung unter den progressiven Zeitgeist löste aber auch eine unerwartete Reaktion aus. Denn sie führte dazu, daß auf der Gegenseite ein Prozeß in Gang kam, der nicht nur den Patriotismus der Verschwörer des 20. Juli betonte und die Erhebung gegen das Regime ausdrücklich bejahte, sondern auch Stauffenberg zum Mittelpunkt einer besonderen Verehrung machte. Das wiederum brachte die Hüter der offiziellen Geschichtspolitik in eine äußerst schwierige Lage. Hielten sie an der älteren Vorstellung vom »Aufstand des Gewissens« fest, konfrontierte man sie mit dem Verweis auf die antiliberale, antiwestliche, antipluralistische Weltanschauung der Männer des Widerstandes. Distanzierten sie sich von der, liefen sie Gefahr, die Bedeutung der Widerstandskämpfer überhaupt zu demontieren und damit einen Teil bundesrepublikanischer Identität in Frage zu stellen.
Die jüngst erschienene Stauffenberg-Biographie Thomas Karlaufs hat vor allem den Zweck, einen Ausweg aus diesem Dilemma anzubieten. Es geht dem Verfasser jedenfalls nicht um einen Beitrag zur Fachdiskussion. Das wird schon daran deutlich, daß Karlauf keine neuen Quellen ausgewertet hat, abgesehen von dem Briefwechsel zwischen Stauffenberg und Frank Mehnert sowie der Aussage des ehemaligen Wehrmachtsmajors Joachim Kuhn, die erst 1997 im Archiv des russischen Geheimdienstes entdeckt wurde. Im Hinblick auf die Faktenlage kommt Karlauf jedenfalls nicht weiter als Joachim Kramarz, Christian Müller und Peter Hoffmann vor ihm, die die maßgeblichen Arbeiten über Stauffenberg geschrieben haben, oder der von ihm abschätzig als »Publizist« bezeichnete Joachim Fest, der eine Überblicksdarstellung zum 20. Juli veröffentlicht hat. Auch wenn Karlauf den Eindruck erweckt, daß seine Vorgänger Stauffenberg als jemanden präsentiert hätten, der, wenn nicht von Anfang an, dann doch sehr frühzeitig gegen das NS-Regime eingestellt gewesen sei, wird man betonen müssen, daß tatsächlich Stauffenbergs prinzipielles Wohlwollen, wenn nicht für Hitler, dann doch für das Programm der autoritären Zusammenfassung, des nationalen Sozialismus und der Revision des Versailler Vertrages seit langem bekannt ist. Keiner der erwähnten Biographen hat diesen Sachverhalt bestritten. So wenig wie die Tatsache, daß Stauffenberg als Offizier ohne Vorbehalt die Ansicht teilte, daß Deutschland noch einmal zu den Waffen greifen sollte, um sich jene Weltstellung zu erkämpfen, die ihm durch die Niederlage von 1918 versagt worden war. Von den militärischen Erfolgen der Wehrmacht war er begeistert wie die meisten seiner Zeitgenossen. Erst die Einsicht in die politische wie militärische Unvernunft Hitlers und die Monstrosität des Mordes an den Juden haben Stauffenberg zur Tat getrieben, ohne daß im letzten entschieden war, ob um der Ehre willen ein Zeichen gesetzt werden sollte, oder es darum ging, das Schlimmste zu verhindern und die Voraussetzung für jene neue Ordnung zu schaffen, »die alle Deutschen zu Trägern« haben würde.
Staufenberg selbst begründete seine Abkehr vom Regime mit der »Judenbehandlung«
Eine gewisse Originalität ist Karlauf immerhin da zuzubilligen, wo es um die Beziehung zwischen Stauffenberg, dem Dichter Stefan George und dessen Kreis geht. Selbstverständlich ist auch dieser Zusammenhang kein Novum. Aber Karlauf als Spezialist für George und die Georgeaner kann doch einige Aspekte zur Geltung bringen, die Stauffenbergs Weg hin zu Auflehnung, Eidbruch und Tyrannenmord verständlicher machen. Dabei spielte nicht nur das ausgeprägte Elitebewußtsein Stauffenbergs eine Rolle, das sich aus adliger Herkunft, Offiziersberuf und Zugehörigkeit zum Georgekreis speiste, sondern auch die besondere Art von Geschichtsdenken, das aus den Ideen des Dichters folgte. In dessen Vorstellung hatten seit dem Ersten Weltkrieg eschatologische Erwartungen eine wichtige Rolle gespielt, die zuletzt darauf zielten, daß trotz der Niederlage eine auserwählte »heilige Schar« das eigentliche – also geistige – Wesen der Nation verkörpern müsse. Dieses »geheime Deutschland« werde auch die Schaffung jenes »Neuen Reiches« vorbereiten, von dem George in seinem letzten Buch auf rätselhafte Weise gesprochen hatte.
Daß Stauffenberg und seine Freunde sich nicht nur als Träger des »geheimen Deutschlands« betrachteten, sondern auch überzeugt waren, daß sie verpflichtet seien, das »Neue Reich« zu bauen, geht aus einem von Karlauf an zentraler Stelle zitierten Schreiben Stauffenbergs vom 9. April 1940 klar hervor. So knapp die Bemerkungen auch waren, ist ihnen doch zu entnehmen, daß Stauffenberg nicht nur mit einer längeren Dauer des Krieges rechnete, sondern überzeugt war, daß man sich in einem transitorischen Zustand befinde und erst »danach« geklärt werde, welche Verfassung Deutschland und Europa erhalten sollten, denn es gehe »die Welt einer neuen Form entgegen, die später einmal als das Ergebnis auch dieser Kämpfe und Kriege in Erscheinung treten mag«. Stauffenberg verkannte keineswegs das Gefährdete der deutschen Position. Gleichwohl war er überzeugt, daß »jede auflockerung einer stagnation, der geistlosigkeit und des verranntseins … ein gewinn an sich« sei, und: »Wir befinden uns wohl in den ersten Geburtswehen eines Neuen Reiches.«
Wenn Karlauf solche Aussagen nicht angemessen wertet, dann, weil er ganz konventionellen Deutungen der Zeitgeschichte anhängt – weder die traumatische Niederlage noch das Friedensdiktat, noch die eigentlichen Ursachen für die Auflösung der Weimarer Republik, noch die Janusgesichtigkeit des NS-Regimes werden in ihrer Bedeutung erfaßt – und auch den weiteren geistigen Rahmen ausblendet, in dem sich Stauffenberg jenseits der Dichtung Georges bewegte. An dieser Stelle wirkt vor allem die Fixierung auf ein »gruppenbiographisches« Verfahren fatal, das in der Regel davon ausgeht, daß die Überzeugungen Stauffenbergs diejenigen seiner Standesgenossen oder Kameraden waren. Karlauf übersieht, daß Stauffenberg nicht nur durch die Zugehörigkeit zu einem Auslesebund der Jugendbewegung oder die Lektüre, sondern auch durch die intellektuelle Atmosphäre der zwanziger und dreißiger Jahre von Vorstellungen geprägt war, die man im allgemeinen der Konservativen Revolution zurechnet. Es gibt jedenfalls bei ihm keinen Hinweis darauf, daß die zentralen Ideen Stauffenbergs »jungkonservative« waren und sich daraus nicht nur die Ambivalenz gegenüber dem Nationalsozialismus erklärte, sondern auch die scharfe Trennung in dem Augenblick, in dem deutlich wurde, daß man es mit einem Regime zu tun hatte, das auf »Bonzentum« und »Tscheka« beruhte, nicht auf den Grundsätzen eines »organischen Staates«.
Letztlich versagt Karlauf aber aus anderen Gründen vor der selbstgestellten Aufgabe, die »nicht zu umfangreiche, gut lesbare Stauffenberg-Biographie« zu liefern. Der Umfang mag hingehen, aber die Lesbarkeit leidet an den dauernden Sprüngen in der Chronologie und dem Fehlen klarer Konturen. So wird bestritten, daß Stauffenbergs »Gesinnung« für seine Handlungsweise den Ausschlag gab, aber hervorgehoben, daß sich ohne den Einfluß der Dichtung Georges das Attentat gar nicht erklären lasse. Karlauf betont, daß die Vernichtung der Juden kein ausschlaggebendes Motiv für den Schritt in den aktiven Widerstand gewesen sei, zitiert aber zustimmend einen Zeugen, demgegenüber Stauffenberg die »Judenbehandlung« als maßgeblich für seine Kehre gegen das Regime bezeichnete. Schließlich soll für Stauffenberg die Niederlage bei Stalingrad den letzten Anstoß gebildet haben, dann die Entscheidung aber doch erst im Sommer 1943 gefallen sein.
Man kann solchen Schwankungen und Unsicherheiten als Hinweis auf methodische oder analytische Schwächen werten. Aber es liegt die Annahme näher, daß Karlauf zum Opfer seines erkenntnisleitenden Interesses geworden ist. Das heißt, das Fehlen einer Kontur war unvermeidbar, weil Karlauf die Dinge in einer gewissen Schwebe halten wollte. Denn er weiß um die Problematik des Verfahrens, das den »irdischen Stauffenberg« (Ulrich Herbert) zeigen will, ohne ihn doch auf eine Person zu reduzieren, in der sich vor allem »die Stärken und Schwächen ihres Milieus« (Stephan Malinowski) spiegeln. Karlauf möchte, daß die Politische Klasse ein Bekenntnis zu Stauffenberg und seiner Tat ablegt, weil der in die »Mitte« gehöre, obwohl er immer wieder das Anachronistische an Stauffenbergs Haltung hervorhebt. Karlaufs Mantra, daß »eine Gesellschaft« solchen »Widerspruch« »aushalten« müsse, verschleiert aber mehr, als es erklärt. Mehr noch, hier geht es um Ablenkung von der eigentlichen – volkspädagogischen – Intention seines Buches. Und die hat Karlauf in aller Offenheit preisgegeben: Es gehe darum, sagte er in einem Interview, daß man Stauffenberg »nicht den Rechten überlassen« dürfe.
Die Sorge davor, daß Stauffenberg »den Rechten überlassen« werde, hat ihren sachlichen Grund darin, daß Stauffenberg ein Mann der Rechten war. Das verband ihn mit dem Widerstand der ersten Stunde – vor allem Edgar Julius Jung, der schon am 30. Juni 1934 auf Hitlers Befehl liquidiert wurde – und mit der großen Zahl der militärischen wie der zivilen Gruppen, die gegen das System standen. Dieselbe Feststellung gilt, von Einzelgängern abgesehen, auch für die betont christlichen Zirkel. Die Linke fiel demgegenüber nicht ins Gewicht. Was es an Strukturen der KPD, der SPD oder irgendwelcher Splittergruppen gegeben hatte, war durch die Gestapo längst zerstört. Übrig blieben Isolierte wie der von Stauffenberg so bewunderte Sozialdemokrat Julius Leber.
Die Ablehnung des Heldentums macht auch vor dem
Hitler-Attentäter nicht halt
Für die heutige Sicht aber irritierender als das ist das völlige Fehlen einer liberalen Strömung in der Opposition. Niemand hat sich dem System in den Weg gestellt, weil er an die unendliche Bedeutung des Individuums, den Markt, das parlamentarische Verfahren oder den Segen des Kompromisses glaubte. Und diese Feststellung ist es, die an jemandem wie Karlauf nagt. Wer wie er die Auffassung teilt, daß die Gegenwart das Ziel der Geschichte und die beste aller denkbaren Welten ist, findet keinen Zugang zu den Motiven Stauffenbergs. Denn die Stärke und Kompromißlosigkeit, die Verweigerung des Konsens und das Einzelgängertum, die Entschlossenheit und der Mut der Männer des 20. Juli wie ihr Ceterum censeo – »Wir glauben an die Zukunft der Deutschen« – zog Kraft aus Reserven, über die eine liberale Gesellschaft nicht verfügt, die sie nur verachtet und gleichzeitig verzehrt.
In einem jetzt erst aufgefundenen Brief von Ernst Kantorowicz, dem Historiker aus dem George-Kreis, der wegen seiner jüdischen Herkunft ins amerikanische Exil gehen mußte, abgefaßt wenige Tage nach dem Scheitern des Aufstands, hieß es: »daß der erste Schuß aus dieser Gruppe fiel – all das ist nicht überraschend und ist genauso, wie es sein sollte. Deswegen hat diese Tat eine ganz hohe symbolische Bedeutung, die weder vergessen noch übertroffen werden kann.« Darum aber ist es Karlauf und denjenigen, die sein Buch feiern, zu tun: die »hohe symbolische Bedeutung« vergessen zu machen, sie auf Mittelmaß zu bringen und den 20. Juli zu irgendeiner Denkwürdigkeit im Feierjahr der Vergangenheitsbewältigung zu machen. Was wiederum auf einen Defekt hinweist, den Peter Hoffmann in seinem großen Buch über Stauffenberg benannt hat: der Widerwille der Heutigen gegenüber dem »Besonderssein«, der Tatsache, daß es Ausnahmemenschen gibt, oder wie man einmal sagte: Helden. ◆
KARLHEINZ WEISSMANN
geb. 1959 in Northeim, ist Gymnasiallehrer (Studienrat) für ev. Religion und Geschichte sowie Autor zahlreicher Bücher und Essays. 2018 erschien in der JF-Edition sein neues Buch Kulturbruch ’68. Die linke Revolte und ihre Folgen