Am 13. März 2013 wurde Jorge Mario Kardinal Bergoglio zum Bischof von Rom gewählt. Seitdem macht der Nachfolger Benedikts XVI. mit manch lobenswertem Ansatz, häufiger aber mit saloppen Gesten, Spontiaktionen, ruppiger Amtsführung und widersprüchlichen Signalen in Fragen der Lehre von sich reden. Wird der Heilige Stuhl zur Weltmitfahrzentrale für den Zeitgeist? In der katholischen Kirche tobt ein Kulturkampf, der ihre Autorität und Einheit bedroht
Fünf Jahre also ist es nun her, daß der frisch gewählte Papst Franziskus den Gläubigen unten auf dem Petersplatz »buon panzo« wünschte, guten Appetit. Er trug keine Mozetta und statt der roten Papstschuhe Sandalen. Er zog nicht in die päpstlichen Gemächer, sondern ins Gästehaus Santa Marta, und sein Auto war ein gebrauchter Renault. Als er auf Staatsbesuch im Weißen Haus in einem Kleinwagen vorfuhr, lächelten die Obamas wissend, denn sie erkannten: Hier war ein Profi am Werk.
Der Rolling Stone, Fachblatt des eher kirchenfernen Rock-Zirkus, widmete ihm zwei Titelgeschichten. Bald hatte der Papst Abermillionen von Twitter-Followern und ein eigenes Fanzine. Selbst Hollywood hätte die Wiederkehr des Heiligen Franziskus, des kleinen Troubadour Gottes, nicht wirksamer inszenieren können. Er wusch am Gründonnerstag Gefängnisinsassen die Füße, in seiner darauffolgenden Predigt den versammelten Kurienkardinälen den Kopf und nannte sie eitel. Er trat als Volkspapst besonders für jene an, die mit der Kirche nichts mehr am Hut hatten, und sein Angelus-Segen wurde zur Touristenattraktion in einer glaubensfernen Zeit.
Kurz, dieser Argentinier vom anderen Ende der Welt wurde zur großen Hoffnung aller »Kirche von unten«- und Reform-Aktivisten, all derer also, die die Bastion des römischen Katholizismus schon immer schleifen wollten. Endlich ein Papst, der mit der Zeit geht! Er ließ das Kirchenvolk zur Sexualmoral befragen, um dann mit der Enzyklika Amoris Laetitia in einer Fußnote die Unauflöslichkeit der Ehe, die Jesus gepredigt hatte, in Frage zu stellen. In progressiven Kirchenkreisen, die ihre Hoffnungen in Franzikus setzen, spricht man überhaupt nicht mehr gerne von Sünde. Eher von »Verwundungen«, auf die mit Barmherzigkeit zu antworten sei. Der Papst segnete ein schwules Paar und gratulierte einem anderen zur Taufe seiner Kinder, die naturgemäß nicht die eigenen waren. Der Vatikan erklärte, das sei nur ein Standardschreiben gewesen, von der Homosexualität habe man nichts gewußt. Ist es Strategie, daß die linke Hand nicht weiß, was die rechte tut? »Wer bin ich, darüber zu richten«, sagte Franziskus zum Thema Homosexualität. Aber wer sonst, wenn nicht er, fragten sich gläubige Katholiken. Und auch ohne über jemanden zu richten, könnte er die kirchliche Lehre vertreten. Das tut er gelegentlich, indem er an der Ehe als einem Bund zwischen Mann und Frau festhält – aber warum dann die widersprüchlichen Signale?
Seit Amtsbeginn sind Heerscharen von Vaticanisti damit beschäftigt, seine Stegreif-Predigten oder Interviews so zu interpretieren, daß sie nicht nur in die Zeit passen, sondern auch zur Lehre, zum Katechismus. Nicht immer haben sie damit Erfolg. So sagte er, der Volkspapst, salopp, die Katholiken sollten sich nicht vermehren wie die Karnickel. Ein anderes Beispiel stammt vom April letzten Jahres, als er in der Frühmesse in Santa Marta predigte, das Kreuz bedeute ein »Gedenken an ihn, der sich zur Sünde gemacht hat, der sich zum Teufel gemacht hat, zur Schlange, für uns«. Das war eine verstörende Freistilinterpretation des Erlösungsgeschehens, denn Jesus Christus ist als Sohn Gottes am Kreuz gestorben, um die Menschen zu erlösen, und ganz sicher nicht als Teufel und damit als Antichrist, soviel wissen selbst die einfachsten Gläubigen in aller Welt.
Theologisch auffällig lax agierend, verstand Franziskus sein Pontifikat bislang ohnehin eher als politisches Amt. Seine Enzyklika Laudato Si, 2015 zur Uno-Klimakonferenz erschienen, ist eine grüne Programmschrift, detailreich bis zur Mülltrennung. Besonders aber wurde er zum Matador einer schrankenlosen Migration, da sie schließlich von den Ländern des Westens durch ihre Ausbeutung der Dritten Welt verursacht worden sei. Bald galt der Papst als »Führer der globalen Linken« (Wall Street Journal) oder als »Anti-Trump« (New York Times). Die Frage aber ist: Darf ein Papst das? Darf er im Namen eines politischen Agendum, eines sognannten »Evangeliums der Barmherzigkeit«, die Kirche zerreißen? Darf er mit frommem oder frömmelndem linksgrünen Agitprop ihre Türen aus den Angeln heben?
Die Leitung der Kirche, so sagte Franziskus einst, könne er sich höchstens für fünf Jahre vorstellen. Nun ist er seit fünf Jahren im Amt, und er hat noch Großes vor. Anders gesagt, die Lockerungsübungen, die er der una sancta, »der einen katholischen und apostolischen Kirche« verordnet hat, sind noch längst nicht an ihr Ende gekommen. Das nächste wird womöglich, so die Hoffnung des progressiven Papstunterstützers Paul Zuhlehner aus Österreich, auf der diesjährigen Amazonas-Synode die Aufhebung des Zölibats sein. Ja, es ächzt und knirscht in den Verankerungen dieser Kirche, dieser stolzen zweitausendjährigen Institution, die Jesus einst dem Fels Petrus anvertraute mit dem Versprechen, daß »die Pforten der Hölle sie nicht überwinden werden«.
Als halsbrecherische Kutschenjagd durch die Geschichte beschrieb der englische Konvertit Gilbert K. Chesterton vor rund hundert Jahren den Weg der Kirche, Moden und Sekten und Häresien hätten die kurvenreiche Strecke gesäumt, und »während die trägen Ketzereien am Boden hingestreckt liegen, steht die ungestüme Wahrheit schwankend, aber aufrecht.« Nun, im fünften Jahr des argentinischen Freigeistes auf dem Thron Petri sieht es nach Achsenbruch aus, was die institutionelle Pflege der jesuanischen Wahrheit angeht, die einer außer Kontrolle geratenen Welt leuchtend und glaubenssicher gegenüberstehen sollte. Der katholischen Kirche droht das Schisma, und das, paradoxerweise, gerade weil sie sich um Popularität bemüht unter einem Papst, der vor allem eines ist: ein Populist.
Franziskus ist mal Papst und mal Aktivist.
Er ist der Mann mit den zwei Gesichtern
Der Widerstand wächst. Rund um den Vatikan wurden »Pasquinaten« verklebt, Zettel mit Spottgedichten auf den Papst. In der Kurie rumort es, denn der Papst, der zum Beispiel die Kündigungen beim Pay-TV-Anbieter Sky Italia als schwere Sünde bezeichnete, feuert gnadenlos jeden, der sich ihm widersetzt – ohne Angabe von Gründen. So traf es drei führende Mitglieder der Glaubenskongregation sowie zwei Unterstaatssekretäre der Gottesdienstkongregation. Die New York Times schrieb, daß »der Papst mit dem demütigen touch äußerst rigide in der Umgestaltung des Vatikans« vorgehe. Er bleibt dabei von erstaunlicher Kaltblütigkeit: »Nicht ausgeschlossen«, so soll er in kleiner Runde gesagt haben, »daß ich als derjenige in die Geschichte eingehen werde, der die katholische Kirche gespalten hat.«
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Kurz nach seiner Ankunft am 22. September 2015 auf dem Militärflughafen Joint Base Andrews (Maryland) zu Beginn seines dreitägigen Besuchs der Vereinigten Staaten winkt Papst Franziskus aus seinem Auto.
Ansonsten gefällt sich der Papst in erratischen Spontanäußerungen zur politischen Lage. Von einem islamischen Terrorismus will er nichts wissen. Nach dem Ritualmord an dem französischen Priester Jacques Hamel während der Heiligen Messe am Altar sagte er salopp: »Es gefällt mir nicht, von islamischer Gewalt zu sprechen, denn jeden Tag, wenn ich die Zeitungen durchblättere, sehe ich Gewalt, hier in Italien: Der eine bringt seine Verlobte um, ein anderer bringt die Schwiegermutter um … Und das sind gewalttätige getaufte Katholiken!«. Was fehlt, sind nur noch Belege für katholische Ritualmorde.
Da es keine protestantische Torheit gibt, die progressive Katholiken nicht nachahmen wollten, könnte auch die Gleichsetzung Allahs mit dem dreieinigen Gott der Christen folgen, wie sie soeben von der Rheinischen Landeskirche behauptet wurde. Von seiner Reise ins Flüchtlingslager auf der Insel Lesbos brachte Franziskus keine christliche, sondern eine muslimische Familie mit. Vor dem Besuch einer muslimischen Delegation ließ er die nackten Statuen an ihrem Weg verhängen. Die Auffangstellen für Flüchtlinge aus vorwiegend islamischen Ländern verglich er mit Konzentrationslagern und sprach von der Verpflichtung, alle Flüchtlinge aufzunehmen und zu integrieren.
Immerhin hat er Verwandte der seit acht Jahren inhaftierten pakistanischen Katholikin Asia Bibi empfangen sowie eine nigerianisch-christliche Familie, die vor der Terrorgruppe Boko Haram fliehen mußte. Gleichwohl etabliert Franziskus Stück für Stück eine Theologie der Invasion – mit ihm als Aktivist. Als das italienische Parlament über ein neues Staatsbürgergesetz beriet, befürwortete er heftig das ius soli, die sofortige Einbürgerung von allen, die auf italienischem Boden zur Welt kommen. Und er war sich nicht zu schade, den Glaubensgründer als Zeugen zu beanspruchen. Jesus sei gekommen, so predigte er in der Heiligen Nacht, »um uns allen die Staatsbürgerschaft zu geben«. Das wird vielen, die ratlos in der Bibel blätterten, neu vorgekommen sein.
Der italienische Ex-Senator und Sozialist Marcello Pera, durch Benedikt XVI. bekehrt, meint dazu: »Das ist ein Papst, der seit dem Tag seiner Amtseinführung nur Politik betreibt (…). Ganz ehrlich, diesen Papst verstehe ich nicht.« Und er vermutete, wohl nicht ganz unbegründet: »Ich kann mir darauf nur eine Antwort geben: Der Papst tut es, weil er den Westen verachtet, darauf abzielt ihn zu zerstören und alles tut, um dieses Ziel zu erreichen.«
Immerhin sprach Franziskus 2016 bei einer Pressekonferenz auf dem Rückflug von Aserbaidschan von der für den Westen ebenfalls bedrohlichen »Heimtücke, mit der wir heutzutage durch die Indoktrinierung mit der Gender-Theorie konfrontiert sind«, und von »ideologischer Kolonisierung«. Es sei eine Sache, daß ein Mensch eine transsexuelle Neigung hat, »und es gibt auch Menschen, die ihr Geschlecht ändern. Etwas anderes ist es, diese Linie in der Schule zu lehren, um die Mentalität der Menschen zu ändern.« Er ist eben der Mann mit den zwei Gesichtern. Auf seiner jüngsten Reise nach Lateinamerika, in seinen Heimatkontinent, blitzten beide Gesichter kurz hintereinander auf. In Chile wurde er, der Null-Toleranz gegen den Mißbrauch predigte, auf den Fall des Bischofs Juan Barros angesprochen. Der, ein alter Vertrauter, soll den Mißbrauch des Priesterausbilders Fernando Kardima vertuscht haben. Franziskus war darüber durch den Brief eines Mißbrauchsopfers informiert worden, was er abstritt.
Ein souveräner Papst versucht gerade nicht,
ein Kind seiner Zeit zu sein
Die Süddeutsche Zeitung spöttelte: »Vielleicht hat er jene acht Seiten, die der Chilene Juan Carlos Cruz am 3. März 2015 schrieb, zwischen all der Fanpost einfach übersehen.« Wahrscheinlich ist das nicht, schließlich war dem Papst der Brief durch den Mißbrauchsbeauftragten Kardinal Sean O’Malley persönlich übergeben worden. Auf den Fall angesprochen, reagierte Franziskus äußerst schroff. »Haben Sie Beweise?«, knurrte er. Erst als der Protest sich nicht mehr ignorieren ließ, und die Gläubigen seinen Messen fernblieben, entschuldigte er sich für den »Schmerz«, den seine Reaktion bei den Opfern ausgelöst habe.
»Papst Franziskus hat eine große Gelegenheit verspielt, seiner Null-Toleranz-Botschaft Glaubwürdigkeit zu verleihen«, sagte Juan Carlos Claret, Sprecher der Katholischen Laienorganisation Chiles. »Stattdessen hat er die undurchsichtigen Strukturen, den blinden Gehorsam und den autoritären Machtmißbrauch innerhalb der Kirche bestätigt.« Was aber, wenn nicht die Struktur undurchsichtig wäre, sondern der Mann an der Spitze? Wie anders hatte sein Vorgänger Benedikt XVI. reagiert, als er sich auf seiner Deutschlandreise mit Mißbrauchsopfern zusammensetzte und sich im Namen der Kirche entschuldigte.
Viele Katholiken befürchten, daß Franziskus in seinem peronistisch getönten Populismus an Kurie und Kirchenverfassung vorbei bleibenden Schaden anrichtet. Ihre Furcht ist nicht unbegründet. Vielleicht sollte der Nachfolger Petri den Spruch Chestertons beherzigen, der da sagte: »Die katholische Kirche ist die einzige Sache, die den Menschen vor der erniedrigenden Sklaverei bewahrt, ein Kind seiner Zeit zu sein.« ◆
MATTHIAS MATUSSEK,
geb. 1954, ist Autor und Publizist. Von 1987 bis 2013 war er beim Spiegel tätig, danach bis 2015 bei der Axel Springer AG. 2018 erscheint White Rabbit oder Die Abschaffung des Gesunden Menschenverstandes, München (FinanzBuch Verlag).