Mal werden Blumen, mal Farben, manchmal auch Gewürze zum medial wirksamen Symbol. Die Revolutionen der jüngsten Zeit tragen Namen wie aus einem Werbeprospekt für gesundes Landleben
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Revolutionen sind auch nicht mehr das, was sie früher einmal waren. Doch wer Koch ist und wer nur Kellner, läßt sich durch eine Analyse leicht aufklären.
Revolutionen sind auch nicht mehr das, was sie früher einmal waren: epochale Ereignisse, die alle paar Jahrzehnte stattfanden und politische und gesellschaftliche Umwälzungen markierten. Die Glorreiche Revolution 1688/89 schrieb den Sieg des englischen Bürgertums über den Absolutismus fest. Die Französische Revolution von 1789 war für ganz Europa so umwälzend, daß sich weitere Beinamen erübrigten. In der Märzrevolution 1848 brach sich der »Frühling der Völker« (Ludwig Börne) Bahn und beseitigte das reaktionäre »System Metternich«; der freigesetzte Nationalismus beendete allerdings auch das vom Staatskanzler sorgsam austarierte europäische Gleichgewicht. Mit der Großen Sozialistischen Oktoberrevolution 1917 in Rußland begann der Sturmlauf des Kommunismus. Grenzwertig ist die Samtene Revolution vom November 1989 in Prag: Sie steht stellvertretend für die zumeist friedliche Rückabwicklung des Kommunismus in Europa, wobei strittig ist, ob es sich tatsächlich um Revolutionen oder vielmehr um Folgeereignisse der Implosion des sowjetischen Imperiums handelte, die Generalsekretär Michail Gorbatschow in der Manier von Goethes Zauberlehrling herbeigeführt hatte.
Die Benennungen erfolgten post festum, sie bezogen sich auf Ort, Zeitpunkt, Ergebnis, Verlauf oder Charakter der Erhebung; daraus ergibt sich ihr geschichtliches Pathos. Die Revolutionen der jüngsten Zeit tragen Namen wie aus einem Werbeprospekt für gesundes Landleben, die schon im Umlauf waren, kaum daß die Revolten begonnen hatten. 2003 war es die Rosenrevolution in Georgien. Im Jahr darauf begann in der Ukraine die erste Etappe der Orangen Revolution. 2005 folgten die Zedernrevolution im Libanon und die Tulpenrevolution in Kirgisien. Eine Safranrevolution fand 2007 in Myanmar statt. 2009 scheiterte die Grüne Revolution im Iran, während ein Jahr später die Jasminrevolution in Tunesien zu einem Machtwechsel führte.
Daneben gab es mehrere Jugendbewegungen, die ähnlich verliefen, so in Serbien unter dem Slogan »Widerstand!«, in Aserbaidschan (»Nein«), Weißrußland (»Wisent«), Usbekistan (»Hammer«) oder Ägypten (»Genug!«). Die Erhebungen in den nordafrikanischen Ländern wurden unter der Bezeichnung »Arabischer Frühling« zusammengefaßt.
Diese neuen Revolutionen und Revolten richten sich gegen Regime, die wahrlich kein Mitgefühl verdienen. Gleichzeitig ist ein artifiziell anmutendes Revolutionsdesign erkennbar. Als Akteure treten junge, passabel Englisch sprechende Leute hervor, die oft an westlichen Universitäten studiert haben und Widerstand als kreative Lebensweise begreifen. Sie beherrschen die modernen Medien- und PR-Techniken, nutzen das Internet und Smartphones, organisieren an repräsentativen Orten Flashmobs. Die Aktionen sind zumeist gewaltfrei. Eingängige Symbole und Losungen sorgen für Orientierung und Kohärenz der anschwellenden Bewegung. Immer dabei sind westliche Medien, allen voran CNN und BBC, gegebenenfalls auch das englischsprachige Al Jazeera. Sie tragen die Ereignisse in die Welt und wirken zugleich ins Land zurück. Sie sorgen für die breite Mobilisierung, indem sie die latent unzufriedenen Massen mit ihren berufenen Führern und deren Zielen bekannt machen.
Es ist ein offenes Geheimnis, daß der Westen materiell, logistisch und organisatorisch in die neuartigen Designrevolutionen involviert ist. Häufig genannt werden die US-Organisation Freedom House, die politische Aktivisten schult, und Stiftungen wie die Open Society Foundations von George Soros. Immer wieder stößt man auch auf den Namen des Politikwissenschaftlers Gene Sharp, Gründer der Albert Einstein Institution in Boston. Sein in mehr als dreißig Sprachen übersetztes Buch Von der Diktatur zur Demokratie – vom Spiegel als »Freiheitsbibel« gefeiert – ist gewissermaßen das Handbuch der postneunundachtziger Revolutionen geworden. Es erschien 1993, also zu einem Zeitpunkt, als die Freude über den Fall des Kommunismus noch frisch war und das westliche Gesellschaftsmodell, bestehend aus Parlamentarismus, Gewaltenteilung und Bürgerrechten, als selbstverständliches Vorbild und Zukunftsversprechen für den Rest der Welt gehalten wurde.
Sharp unterscheidet die auf den Regimesturz abzielende »grand strategy« von den taktischen Einzelschritten, die eine »kumulative Wirkung« entfalten. Die Parallelen zu Lenins Überlegungen zur Strategie und Taktik der proletarischen Revolution sind evident. Die allmähliche Anhäufung von Quantitäten soll schließlich zum Umschlag in eine neue Qualität führen.
Sharp benennt sechs Quellen, aus denen eine Diktatur ihre Macht schöpft. Die erste ist ihre Autorität, die verbreitete Überzeugung, daß sie legitim sei und man ihr Loyalität schulde. Die zweite Quelle sind die menschlichen Ressourcen: die Unterstützer, Gefolgsleute, Büttel und Profiteure. Die dritte sind die Fertigkeiten und das Wissen in bezug auf effektive Herrschaftstechniken, die vierte die unsichtbaren, die psychologischen und ideologischen Faktoren, die zu Gehorsam und Unterstützung führen. Als Fünftes kommen die materiellen Ressourcen hinzu: die Verfügungsgewalt über die Finanz-, Kommunikations- und Transportmittel und die ökonomische Gewalt. Die sechste Quelle schließlich ist die Fähigkeit, im Fall von Ungehorsam Sanktionen anzudrohen und durchzusetzen.
Gene Sharp:
Von der Diktatur zur Demokratie.
Ein Leitfaden für die Befreiung,
München (C. H. Beck),
5. Aufl. 2022,
Softcover,
119 Seiten, 9,95 Euro
Doch hat jede Diktatur laut Sharp auch eine »Achillesferse«, die es auszumachen gilt. Eine Ideologie kann zerbröseln, es kann zu Unstimmigkeiten innerhalb der Führung kommen, eventuell kann das Regime wegen seiner Dysfunktionalität die geweckten Erwartungen nicht erfüllen. Die Diktatur kann ins Straucheln geraten, weil sich der Widerspruchsgeist der Jugend und der Intellektuellen zu allgemeiner Unzufriedenheit auswächst.
Sharp hält symbolische Handlungen als Initialeffekt für nützlich. So könne der erste Akt einer Rebellion darin bestehen, »daß man an einem Ort mit symbolischer Bedeutung Blumen niederlegt«. Sharp hatte auch die legendäre Nelkenrevolution 1974 in Portugal vor Augen. Sie begann mit einem Militärputsch gegen eine rechtsautoritäre Regierung, die das Land in einen hoffnungslosen und anachronistischen Kolonialkrieg verstrickt hatte. Der Putsch löste eine Volksbewegung aus, die in die Transformation in eine parlamentarische Demokratie westlichen Zuschnitts mündete.
Ein Handbuch für NGOs aller Art
Die zentrale Frage, ob sich europäisch-westliche Maßstäbe auch auf andere Weltgegenden und Kulturkreise übertragen lassen, stellte sich für Sharp nicht. Doch der Volksmund weiß es besser: Rosen, Tulpen, Nelken, alle Blumen welken. Die Farb- und Blumenrevolutionen haben nirgendwo die proklamierten Ziele erreicht. Knapp dreißig Jahre nach seinem Erscheinen ist das Buch daher seitenverkehrt zu lesen. Sharp schreibt, die Aufständischen sollten sich nicht auf ausländische Hilfe verlassen, obwohl sie natürlich unterstützend wirken kann. »Manche ausländischen Staaten werden nur dann gegen eine Diktatur vorgehen, wenn sie damit die wirtschaftliche, politische oder militärische Kontrolle über das Land erlangen.« Das ist richtig. Erwiesen ist aber auch, daß ausländische Mächte einen Regimewechsel unterstützen und gezielt herbeiführen, um das Land anschließend ihrer Einflußsphäre einzuverleiben.
Wenn es heißt: »Naturgemäß sind Diktatoren sensibel gegenüber Aktionen und Ideen, die ihre Fähigkeit, nach eigenem Gutdünken zu handeln, bedrohen«, dann ist anzumerken, daß im Westen die Kritiker der Corona-Maßnahmen, der Energie-, der Einwanderungs- oder der Genderpolitik davon ebenfalls ein Lied singen können.
Sharp listet 198 Einzelmaßnahmen auf, die geeignet sind, eine Diktatur ins Wanken und schließlich zum Einsturz zu bringen. Sie reichen von formellen Bekundungen durch öffentliche Reden und Massenpetitionen über Gruppenaktionen wie Blockaden, Verbraucherboykotts, Streiks, getarnten Ungehorsam, Flugblattaktionen und eine gezielte Überlastung der Institutionen bis zum Installieren einer Parallelregierung.
Die Maßnahmen entsprechen in beträchtlichen Teilen der faktischen Doppelherrschaft, die NGOs, Klimaschutz- und Queer-Initiativen in Deutschland mit der Absicht installiert haben, das Land zu chaotisieren, zu lähmen und schließlich umzubauen. Der Unterschied zu den klassischen Regimen liegt darin, daß sie vom Staat geduldet, abgesegnet und sogar institutionalisiert werden.
Hellhörig wird der Leser spätestens, wenn es um »Druck auf einzelne« und die »›Verfolgung‹ von Regierungsvertretern« mit dem Ziel der Ausschließung (»Exkommunikation«) aus dem gesellschaftlichen Leben geht. Der Sozialboykott (»Ostrakismus«), den Sharp empfiehlt, war schon in der Antike ein wirksames Mittel, um mißliebige Bürger aus dem politischen und gesellschaftlichen Leben zu entfernen. Die »Ächtung von Personen« – Sharp meinte natürlich die Büttel der Diktatur – trifft heute die Kritiker, nicht die Stützen und Mitläufer der Macht. Öffentliches Mobbing, Stigmatisierungen, Kontokündigungen, Angriffe auf Wohnobjekte und anderes sind gängige Maßnahmen der »Zivilgesellschaft« – ein Begriff, hinter dem sich inzwischen eine geballte semistaatliche Macht verbirgt – wie auch der staatlichen Organe geworden. Wo sich Opposition regt, wird sie »zersplittert, gelähmt, desorganisiert und isoliert« und werden »ihre feindlich-negativen Handlungen einschließlich deren Auswirkungen vorbeugend verhindert, wesentlich eingeschränkt oder gänzlich unterbunden« – so befahl es einst die Stasi-Richtlinie Nr. 1/76. Sogar die Künste sind darin eingebunden. Die Mahnwachen, die satirischen und künstlerischen Aktionen, die Sharp zur Delegitimierung der Macht eingesetzt wissen will, dienen heute deren Befestigung. Man denke an die Aktionen des Zentrums für Politische Schönheit, die einen Psychoterror gegen Andersdenkende intendierten.
Die Regression der real existierenden Demokratien macht täglich neue Fortschritte. Daher werden die Designrevolutionen, selbst wo sie erfolgreich sind, mittelfristig bloß die Mißstände reproduzieren, gegen die sie sich erklärtermaßen richten, und die problematische Entwicklung im Westen bestätigen. ◆
THORSTEN HINZ,
geb. 1962 in Barth, ist freier Autor und Journalist. In Cato 4|2022 schrieb er unter dem Titel »Vom Herzland und vom Rimland« über die langfristigen Ziele der Vereinigten Staaten im Ukrainekrieg.