Das erste Neue Hambacher Fest wird vermutlich nicht das letzte bleiben. Und sobald CDU/CSU und FDP aus ihrem Dornröschenschlaf erwachen, werden auch sie mitfeiern wollen.
Foto: Hagen Schnauss
Es gibt Ereignisse, bei denen das Wetter die dominierende Rolle spielt. Für die Gültigkeit einer Eheschließung ist es selbstredend unerheblich, ob die Sonne scheint oder nicht. Aber weil es eben auch regnen kann, wäre es undankbar, nicht den göttlichen Segen zu würdigen, der sich in einem blauen Himmel zwar nicht ausdrücklich kundtut, aber eben auch nicht dementiert, erst recht nicht, wenn ein solches »Kaiserwetter« tagelang anhält. Was wäre schöner als ein nicht enden wollendes Fest im Glanz der Sonne?
Ein solches war das Neue Hambacher Fest. Es war unmöglich, es nicht schön zu finden. Der umsichtige Gastgeber hatte alles bedacht und für alles gesorgt. Es gab keine Probleme, Pannen oder Peinlichkeiten. Irgendwelche Aggressionen gab es schon gar nicht. Eintausend Gegendemonstranten waren angekündigt worden, drei Dutzend waren erschienen und ließen den Verdacht aufkommen, die restlichen 964 hätten sich bereits auf die Seite der Festgesellschaft geschlagen, die bei Speis’ und Trank mit Blick über die Rheinebene den Reden lauschte. Das ist keine Spekulation, sondern eine dem Geist dieses Tages gemäße Prognose: Noch die griesgrämigste Antifa-Truppe kommt früher oder später auf den Geschmack des guten und richtigen Lebens. Warum im dunklen Wald die Asphaltstraße mit unflätigen Parolen vollkritzeln – von denen »Logenmob« noch die geistreichste war – oder sich als Zaungast die Kehle aus dem Hals schreien, während droben auf dem Schloß Leute lächeln, Gläser klingen und Fahnen fröhlich im Winde flattern? Alles eine Frage der Zeit.
Das überparteiliche Motiv des Veranstalters Max Otte wies so gesehen in die Zukunft. Wie die Patrioten von 1832 hat er das gefeiert, was er für das Kommende hält. Denn trotz aller Bemühungen, Demokratie und Nation zu trennen, bleiben sie zwei Seiten einer Medaille. So bald wie möglich wollten die Demokraten von damals die nationale Einigung erzielen. Heute wissen wir, daß sie darauf noch zwei Generationen warten mußten und daß die Reichsgründung schließlich anders zustandekam als gedacht. Wenn man nicht weiß, was wann kommt, ist das ein Grund mehr, das zu feiern, was man sich wünscht. Und das hat Max Otte am 5. Mai 2018 getan. Er hat sozusagen vorab eine Koalition aus CDU/CSU, AfD und FDP gewürdigt, die
19 Parlamentssitze mehr als die Große Koalition hat, aber vermutlich noch eine Weile braucht, bis sie die Hemmungen fallen läßt, die sie heute am gemeinsamen Regieren hindern.
Der Geist der Überparteilichkeit umflutete das Hambacher Schloß wie der Frühlingsduft die Pfälzer Weinberge und wirkte dabei sehr viel milder als die jakobinische Schwarz-Weiß-Malerei, mit der Philipp Jakob Siebenpfeiffer, einer der Hauptredner von 1832, auf dem verfallenen »bischöflichadligen Raubnest« die Nationalbewegung als eine Art messianisches Gegenmittel zu den »Mörderhänden der Aristokraten« pries, zur »Schmach der politischen Knechtschaft«, zur »Nacht des Absolutismus«, zur »Gewalt aristokratischer Häuptlinge«, zur »hündischen Unterwerfung« unter den »eisernen Fuß« des Despotismus: »Die Natur der Herrschenden ist Unterdrückung, der Völker Streben ist Freiheit.« Schon damals konnte man wissen, zu welchen Gewaltexzessen erst die Volksherrschaft fähig ist. Die sechs Hauptreden vom 5. Mai 2018, von denen wir drei auf den folgenden Seiten dokumentieren, kamen denn auch ganz ohne revolutionären Überschwang aus. Als wir »hinauf, hinauf, zum Schloß!« wanderten, wunderte sich einer meiner Begleiter sogar über den Bezug auf die Nationalbewegung des 19. Jahrhunderts. Er vertrat die Ansicht, daß eben dort die Wurzel nahezu all unserer Probleme stecke, daß die romantische Kurzsichtigkeit, mit der jene freiheitstrunkenen Schwärmer die bis dahin legitime und vielerorts doch gar nicht so unangenehme Fürstenherrschaft verwarfen, der Anfang unseres heutigen Übels gewesen sei. Allein die Aussicht auf den Entzug seiner Etathoheit habe etwa den Großherzog von Oldenburg die Warnung aussprechen lassen, daß der Verzicht auf die persönliche Haftung für den Landeshaushalt in nichts anderem enden werde als Schuldenmacherei. Und so kam es ja auch.
Möglicherweise ahnen die ferngebliebenen Gäste von CDU/CSU und FDP, daß der Ausverkauf unserer kulturellen, institutionellen und finanziellen Ressourcen nicht ewig so weitergehen kann und daß nicht eine rechtsradikale Machtergreifung vor der Tür, sondern die Frage nach der guten Regierung im politischen Raum steht. Und daß kein verantwortungsbewußter Politiker welcher Couleur auch immer die akuten Gefahren der Eurorettung, der drohenden Euro-Schuldenunion, der Masseneinwanderung sowie des damit einher- und darüber hinausgehenden Staatsversagens länger ignorieren kann. Vierzehn Abgeordnete der CDU/CSU-Bundestagsfraktion haben ihre Absage mit einer freundlichen Grußadresse an das Neue Hambacher Fest verbunden. Auch das ist ein Hinweis auf die Stimmung im Lande. Sollte das Neue Hambacher Fest zu einer regelmäßigen Veranstaltung werden – Anzeichen dafür gibt es –, dann könnte es sein, daß Gastgeber Max Otte die eine oder andere standing invitation ausspricht, eine Einladung, die nicht jedesmal erneuert zu werden braucht. Und dann dürften wir gespannt sein, wer diese Einladung – und wann – nicht mehr ausschlagen wird. ◆
ANDREAS LOMBARD,
geb. 1963 in Hamburg, ist Chefredakteur von Cato. Nach seinem Studium in Heidelberg und Berlin war er zunächst als freier Journalist tätig. 2005 Gründung des Landt Verlags, von 2013 bis 2017 Leitung des Verlags Manuscriptum