Santa Cruz und La Esperanza
28. Januar 2018
Der Name der Inselhauptstadt ist zugleich jener der spanischen Provinz Santa Cruz, die neben Teneriffa noch die Inseln La Palma, La Gomera und El Hierro umfaßt. Die Plaza España bestimmt ein Monument des Befreiungskrieges für das Land und seine Heilige Kirche. Wie ein in den Boden gerammtes Schwert ragt der kreuzverzierte Pfeiler vor dem Cabildo Insular und dem Hauptpostamt empor. Zwei nackte Krieger stützen sich melancholisch auf die Parierstangen der Schwerter. Verwandte stehen im Leipziger Völkerschlachtdenkmal. Die Basreliefs zeigen Soldaten einerseits und andererseits die friedlichen Bauern, für die gefochten wurde. Eines der prunkvollsten Bauwerke der Stadt beherbergt den „Circulo de Amistad XII de Enero“, den Freundeskreis des 12. Januar. Was einen exklusiven Klub vermuten läßt, beherbergt Sport- und Freizeitvergnügen mit Yoga und Pilates mit einem angeschlossenen Café. Während die Fassade im Stil des zweiten Imperiums prangt, will die Rückseite zu einer anderen Straße hin nichts damit zu tun haben und verhält sich wie Franco Stellas Raster zum barocken Berliner Schloß.
Der Gang über die Rambla führt an weiteren Werken des geschätzten Architekten José Enrique Marrero Regalado wie dem „Cine Victor“ vorbei. Auf der Hangseite steht eine Stierkampfarena im maurischen Stil und kaum größer als das „Globe Theatre“, in dem einst Shakespeares Königsdramen alternierend zur Bärenhatz geboten wurden und dem Publikum tieferen Schauder erregten als diese. Ein Dummkopf hat eine Parole gegen die „Corridas“ aufgesprüht. Unvermittelt liegt im Wege der Goslarer Krieger von Henry Moore, eine abgelutschte Paraphrase des Ägineten mit dem Rundschild. Die Moore-Plastik ist wie der Vespa-Roller und die Bialetti-Kanne, zweckmäßig gestaltet; über den Zweck müßte allerdings einmal geredet werden. Mich jedenfalls berührt das lokale Geheimnis tiefer als das europäische Design. An der Kreuzung der Hauptachsen des Parque García Sanabria erhebt es sich mit Marreos Denkmal für den Bürgermeister Sanabria, ein Pfeiler vor dem ein erdschwerer leuchtendweißer Weiberakt sitzt.
Santa Cruz war der Hafen für San Cristobal de La Laguna, der ersten spanischen Stadt auf der einzigen ebenen Fläche der Insel. Aus einem Angriff des Konteradmiral Nelson wurde der Hafenort dann als Stadt wiedergeboren. „Muy Leal, Noble e Invicta Villa, Puerto y Plaza de Santa Cruz de Santiago“, „Sehr treue, edle und unbesiegte Stadt, Hafen und Ort des Heiligen Kreuzes von Sankt Jakob“, heißt die Stadt seither. Die Löwen im Wappen gemahnen an drei englische Landungsversuche. Die scheiterten an der natürlichen Schroffe der Barrancos, der Vigilanz der Spanier und am Feuer des Castillo de Paso Alto, das heute die Nautische Fakultät der Akademie birgt. Den Kanaren wurde das Schicksal erspart, ein zweites Gibraltar zu werden. Der geschlagene Aggressor erhielt ehrenvolles Geleit, Boote, Kost und medizinische Versorgung von den ritterlichen Spaniern. Nelson beförderte einen Brief für General Gutiérrez nach Cádiz. Den riesigen Union Jack, bestimmt, über der eingenommenen Befestigung zu wehen, sehe ich als Trophäe in einer Vitrine des Militärmuseums. Die Landtreter obsiegten kaum je so beispielhaft über die Meerschäumer wie an jenen vier Tagen im Juli 1797.
Im Kunstmuseum an der Plaza del Príncipe de Asturias gegenüber der Kirche San Francisco lauert das gewöhnliche Elend. Der Palast mit den vielen würdigen Büsten auf der roten Fassade ist ein weiteres profanes Outlet des Kunstmarktes, die Bilder der Sammlung durchsetzt mit internationalem Markenramsch, sofort erkennbar und geheimnislos, Richter, die Bechers, Bellmer, Ruff, Ray und Höfer, abgeschmeckt mit einer Prise Soziologie. Die im Palazzo einheimische Malerei darf Tapete sein. Der Kurator erweist sich als Rabiator mit umso geringerer Achtung vor den Mitteilungen anderer, je mehr er sich selbst als Künstler begreift. Im Dunkeln ist gut Video-Munkeln.
Auf dem Flohmarkt vor dem Mercado Nuestra Señora de Africa erstehe ich Schallplatten mit Zarzuelas, Aufnahmen teils dirigiert von Pablo Sorozábal persönlich, es singen Theresa Berganza, Pila Lorenga und Enriqueta Serrano. Der Mercado ist ein Meisterwerk Marreros. Das maßvoll Schöne und übersichtlich Vielfältige ließen mich zum ersten Mal aufmerken und seinen Namen behalten. Gegenüber zieht sich am Barranco de Santos das Museumsufer von Santa Cruz hin. Zwischen den schiefergrauen Wänden der Halle für die moderne Kunst gehe ich nur zum Museum für Frühgeschichte und Naturkunde. Das Gebäude ist vom Innenarchitekten auf ein Rundgangslabyrinth gedrosselt worden, das viel Schrift und ungleichmäßige Beleuchtung enthält. Den primitiven Scherben der Guanchen kann ich wenig abgewinnen, den kanarischen Mumien schon eher. Ihnen ist gegenwärtig eine Sonderausstellung gewidmet. Eine Mutter kommt mit Kindern entgegen, die vielleicht gerade schulpflichtig geworden sind. Unbefangen plaudern sie und betrachten die Füße, Schädel und Hände mit der jahrhundertealten Lederhaut ohne jeden Schauder.
Um an meine nächste Unterkunft zu gelangen, fahre ich über La Laguna mit einer lokalen Buslinie nach La Esperanza. Das Hotel „Las Cañadas“ liegt an der in die Berge führenden Hauptstraße. Im gleichnamigen Restaurant warte ich auf den Hotelier und befinde mich dabei wie im Wirtshaus im Spessart. Mein kräftiger Magen wird das unangenehm aufschmeckende Entrecôte schon irgendwie zersetzen. Ich sehe ein, daß es schleunigst fort mußte. Das Hotelzimmer ist angenehm: Balkendecke, Fenster zur Straße und vor allem ein anständiger Schreibtisch. Die „Pasteleria Las Cañadas“ ist in dieser Namensdreiheit das edelste Glied, darum öffnet sie auch nur an Wochenenden. Hier treffe ich den bärtigen Hotelier wieder und lasse mir von ihm Empfehlungen geben. Zwei Teile werden vom Konditor auf goldglänzenden Karton geschoben. Einen Makronenkuchen verzehre ich im gut besuchten Hinterzimmer am brennenden Kamin. Der Regen dauert an. Das Feuer ist mehr als Dekoration.