La Esperanza und Erjos el Tanque
30. Januar 2018,
La Esperanza und ErjosLa Esperanza – Die Hoffnung. Der Ausblick im Morgengrauen macht dem Namen des Ortes Ehre. Kein Regen. Stumpf grau liegt der Asphalt der Straße, der gestern blauschwarz glänzte. Um acht Uhr prasselt es schon wieder gegen die Scheibe. Als der Niederschlag innehält, mache ich mich auf den Weg in den Bosque de la Esperanza. Der damalige Generalstabschef der Kanarischen Inseln Francisco Franco Bahamonde hat den Pinienwald auf diesen Namen getauft. Während des Rifkriegs von 1921 bis 1926 wurde er der jüngste General Europas und Freund des französischen Oberbefehlshabers Philippe Petain. Die Zweite Spanische Republik schickte ihn erst auf die Balearen und bedurfte seiner dann doch wieder in Madrid. Im Februar 1936 wurde er schließlich auf die Kanaren entsandt. (In einem abgelegenen Teil des Anaga-Gebirges stehen noch die Trümmer vom Haus des engsten Vertrauten, den General Franco auf der Insel hatte. Lorenzo Martínez Fuset war zudem ein Jugendfreund des andalusischen Dichters García Lorca, der beinahe auf den Tag genau ein Vierteljahr vor dem “Troubador der Falange”, José Antonio, zum Mordopfer wurde.) Als sie nicht länger zusehen mochten, wie die Republik selbst zu ihrem ärgsten Feind wurde, versammelten sich die Offiziere am 17. Juni 1936 im Wald von Las Raíces um ihren General und beschlossen jene Abhilfe, die einen Monat später in Werk gesetzt wurde.
Von 1958 bis 2015 erinnerte ein Denkmal an die Zusammenkunft. Bereits 2008 hatte der Stadtrat von El Rosario aufgrund der von den Sozialisten eingebrachten und im Oktober 2007 in Kraft getretenen Ley de Memoria Histórica, wonach franquistische Symbole von öffentlichen Gebäuden und Plätzen entfernt werden müssen, beschlossen, das Monument zu beseitigen. Im Naturschutzgebiet war das nicht ganz so einfach. Offenbar bekam man es aber mit der Angst, je mehr sich der siebzigste Jahrestag näherte. An einem Herbstmorgen des Jahres 2015 wurde der von Graffitis besudelte Obelisk demoliert, der eigentlich dem Militärmuseum in Santa Cruz gestiftet werden sollte. Die Zertrümmerung wurde im spanischen Fernsehen gezeigt, und . die Bruchsteine wurden zur Ausbesserung der Straßen verwendet. Kein Hinweis erinnert mehr an das Ereignis. . Statt „Cara al Sol“ heißt es jetzt „Fit for Fun“ – vor mir liegt ein Erholungsplatz mit Bänken, Toilettenbungalow, Grilleinrichtungen und Feuerstellen. Intuitiv gehe ich noch ein Stück weiter und gelange zu einem Stellplatz für Wohnwagen. Gegenüber führt eine Treppe zu zwei jungen Lorbeerbäumen. Das läßt die Entfernung des Obelisken wie eine kultische Bestattung erscheinen. Ein Militärwagen fährt vor. Vom gegenüberliegenden Hügel zeichne ich den Ort. Unterdessen treffen noch drei Löschwagen und ein PKW der Feuerwehr ein. Dutzende Wanderer schlängeln sich durch den Forst. Kaum habe ich mein Gestrichel beendet, beginnt es wieder zu regnen. Ich eile abwärts, lasse mich ein Stück von einem Griechen im Wagen mitnehmen. Durchnäßt erreiche ich das Restaurant Las Rosas. Der niedrige Eingang neben einem Autohändler führt in ein respektables Speiselokal.
Später nehme ich den Bus nach La Laguna, wo ich umsteige und über Orotava bis zum Kreisverkehr bei El Realejo fahre. Dort rast der Anschluß mit elegantem Schwenk vorbei an mir, der ich einen Augenblick zu lang in die Karte schaute. Handzeichen und Nachlaufen sind vergebens. Am meisten ärgert mich, daß ich den öffentlichen Kraftverkehr nicht gegen seine Verächter verteidigen kann. Die Fahrer auf den steilen kurvigen Straßen der Insel sind jeder Achtung wert. Mit dem Bus nach Icod schwenke ich wieder auf die ausgreifendere Route ein. Geschmeidiges Lenken verhindert nicht, daß sich eine Frau in eine Folientüte übergibt. Zwar heben die Kurven mich und meinen Magen nicht an, wohl aber das Knistern des fatalen Beutels. Der Anschluß in Icod läßt nicht lange auf sich warten. Schwieriger ist die unmißverständliche Aussprache des Ortsnamens. Da in Erjos kaum Fremde aussteigen, sind noch nicht alle möglichen phonetischen Verhunzungen an das Ohr der Fahrer gedrungen. Mein beflissenes “Errrchros” bleibt unverständlich, ohne daß ich aus der Aussprache des Fahrers heraushöre, woraus mein Fehler bestand.
Auf der Dorfgasse bedrängen mich zwei Kläffer. Obwohl ich unbeirrt fortschreite, attackieren sie, schnappen in die Wade und zerfetzen das Hosenbein, wohlgemerkt eines von nur vier Hosenbeinen, die mir während zehn Tagen zur Verfügung stehen und von denen ich die eine Hälfte am Freitag ins Konzert führen will. Mit Mascha, der aus Moskau stammenden Schauspielerin, Maskenbildnerin und Dichterin, unternehme ich einen Abendspaziergang zu den Teichen. Ein Location-Scout würde hier bedenkenlos eine Neuverfilmung des „Hundes von Baskerville“ anberaumen. Es ist feucht, neblig und grau wie in Dartmore. Die Teiche entstanden durch die Entnahme fruchtbaren Bodens, um damit den Inselsüden zu kultivieren. Längst wird er dort ins Meer gespült worden sein. Mascha hat die Gruben noch nie gewässert gesehen. Ihr Mann Fernando verlebte seine Kindheit noch im Teichgebiet. An diesem Abend ist immerhin eine Pfütze zu sehen.