Erjos
01. Februar 2018,
Neben den Dörfern in den beiden Gebirgen Anaga und Teno ist die Gegend um Erjos, die nahe an letzterem liegt, immer noch vom Feldbau geprägt. So ist auch das einzige Geschäft im Ort eine Ferreteria, eine Eisenwarenhandlung, die Werkzeuge und Sämereien führt. Meine Neigung zu Bagatelleinkäufen wird mir zum Verhängnis. Mit einer Miniaturtube guatemaltekischen Sekundenklebers für die Pfeifenreperatur in der Jackentasche werde ich abermals von den beiden kleinen Bestien angefallen. Diesmal wird es blutig, die Hose geht in Fetzen. Mascha betupft die Schmarre mit Alkohol, den eines ihrer Viecher gleich wieder abschleckt. Zum Dank werde ich es im Laufe des Tages ein paarmal treten, wenn auch unbeabsichtigt. Während wir in die Berge aufbrechen, bestellt ein Bauer einsam sein schmal-langes Feld. Das kleine Haus, in dem sein Vater das Licht der Welt erblickte, liegt in Trümmern hinter ihm. Am Aussichtspunkt bei Montagna Aqua wendet Mascha. Aber auch ich komme nicht weit. Kaum habe ich mir von einem gestürzten Lorbeer einen Stecken gebrochen, bin ich statt seiner abermals des Paragua, des Regenschirms, bedürftig. Am Dorfeingang reiht sich vor mir ein schmales Männlein in den Weg ein. Es hält ein Sperrgut geschultert, dessen Beschaffenheit ich nicht sogleich erkenne. Im Vorübergehen findet er unter der Last die Kraft für eine mitfühlende Bemerkung über das miserable Wetter. Wie eine Ameise ein Stöckchen in den Bau schleppt, so trägt er den Baumstamm seinem Heim zu. Der soll gewiß ein wärmendes Feuer nähren. In der Bar Abreu speise ich vorzüglich unter Einheimischen. Am Tisch vor mir fummeln zwei Herren an ihren Handgeräten, bevor sie mit Wollust zu schmausen beginnen. Mit den Jahren wendet sich die Begierde bei den Señores von Chiqas zu Chicken ohne Einbuße an Lebensfreude. Mein Appetit gibt ihnen recht, denn mit den Röstkartoffeln, Kichererbsen und geschmortem Paprika hat mir Hühnerfleisch selten so wohl gemundet.
Ende November hat sich von Erjos der schneebedeckte Teide kristallklar gezeigt. Genau betrachtet ist die Insel, wie die Sprache der Guanchen anschaulich feststellt, der Schneeberg selbst, der Tenerife, der aus dem Meer aufragt. Damals bin ich über den Kamm des Bolico und den Tabaibapass nach Teno Alto gelaufen und habe mir in dem Dorf im Tenogebirge auf der lauschigen Terraza la Piňala von einer anmutigen Kellnerin Kaninchenfleisch servieren lassen. Dabei durfte ich Zeuge sein, wie ihr eine älterer Gast mit Versen huldigte. (Erinnerlich ist mir der zutreffende Endreim „sympatico“.) Die Dichtung wurde gnädig angenommen. Ein junges Paar am Nachbartisch drückte dem Poeten ebenfalls seine Anerkennung aus. In Teno Alto wird im Zeichen eines ökologischen Tourismus halbfester Ziegenkäse vom Laib verkauft.
Ein besonders anschauliches Beispiel des Terassenlandbaus wird sichtbar. Während die getreppten Äcker im Thüringer Wald und im Erzgebirge Grünland sind, werden sie hier noch beackert. Wie nach dem Halbschatten des Lorbeerwalds im gleißenden Licht ein terrassierter Kegel einen ebenso gestalteten Trichter überragt, mahnt an Dante Alighieris Vision vom Inferno und Läuterungsberg. Tief drunten im Ozean liegt die Insel Gomera dem Blick hingebreitet. Wer den Abstieg durch den Camino del Risco wählt, der bleibt von elementarer Metaphorik umfangen. Atemberaubend steil und schmal wie der Pfad der Tugend führt der Steig am Felsen entlang nach Buenavista del Norte hinab. Die spektakuläre Tiefe läßt sich fotografisch nicht erfassen. Wer einen solchen Abstieg sucht und weniger Höhenangst als Widerwillen gegen das Gedränge in der berühmten Masca-Schlucht empfindet, dem sei dieser Pfad empfohlen. Auf der Hälfte des Weges kam mir ein Mann entgegen. Wir waren uns schnell einig und er an mir vorbeigestiegen. Sein junger vierbeiniger Freund scheute und hielt kläffend inne. Um ihn passieren zu lassen, trat ich beiseite. Er tat nicht dergleichen und Herrchen empfahl mir getrost weiterzuziehen. Beinahe bis zum Ausgang des Tales flüchtete nun das Hündlein vor mir hin, oft von einer entfernten Klippe entgegenkläffend. Zugleich lamentierte der Mann von oben. Der flinke Hund hätte ohne weiteres auf einem mir unzugänglichen Vorsprung warten können, bis ich vorübergezogen wäre. Stattdessen widerhallten die Felswände in abnehmender Frequenz von des Köters Kläffen und His masters voice. Mit seiner Besessenheit davon, daß der andere nicht sein möge, erinnert er an jenen hinter dem Zaun geifernden Kläffer, mit dem Peter Handke in seiner „Die Lehre der Sainte–Victoire“ den Zorn gegen Rezensenten abreagiert.
Im Ausgang des Tales liegt ein gigantisches rundes Wasserreservoir. Die Straße führt rechts nach Buenavista und links, oft wegen Felsschlag für Wagen gesperrt, zur Punta del Teno und dem Leuchtturm hinab. Eine sehr abgelegene Bucht lädt zum Bade zwischen den Felsklippen. Von der Landspitze kann ebenfalls auf einem markierten Wanderweg nach dem oberen Teno aufgestiegen werden.