»Was würde geschehen, wenn alle, die jetzt noch schweigen, ab morgen sagen würden, was sie wirklich denken? So viele Leute kann man weder rausschmeißen noch reglementieren noch sonst irgendwas. Dann wäre der Spuk vorbei«
Foto: Jonas Maron
Monika Maron um 2023 nach ihrem Wechsel zum Hamburger Verlag Hoffmann und Campe
Von Ingeborg Bachmann stammt der heutzutage nicht mehr so gern zitierte Satz: »Die Wahrheit ist dem Menschen zumutbar.« Als Ingeborg Bachmann diese sechs Worte 1959 einer Versammlung von Kriegsblinden zurief, denen sie für den ihr verliehenen Hörspielpreis dankte, war Monika Maron achtzehn Jahre alt und lebte seit sechs Jahren nicht mehr im amerikanischen, sondern im sowjetischen Sektor Berlins. Dort hatte ihre Mutter, Helene Iglarz, Kommunistin seit 1929, den Kommunisten Karl Maron geheiratet, der als Vertrauter von SED-Chef Walter Ulbricht in der Deutschen Demokratischen Republik zum Polizei- und Innenminister ernannt worden war, womit Helene und ihre Tochter Monika zur privilegierten Nomenklatura gehörten. In jeder Gesellschaftsordnung kann man zum mitlaufenden Jasager oder zum widerständigen Neinsager werden. Monika Maron hat – wie Ingeborg Bachmann, ihre Schwester im Geiste – früh erkannt, daß es nicht die Aufgabe des Schriftstellers ist, den Schmerz zu leugnen oder zu beschönigen, sondern ihn im Gegenteil wahr und sichtbar zu machen.
Ich habe Ihren ersten, im bundesdeutschen S. Fischer Verlag 1981 publizierten Roman, Flugasche, kurz nach dessen Veröffentlichung gelesen und zur Vorbereitung auf unser Gespräch nach 44 Jahren erneut, und frei heraus gesagt, ich hatte Flugasche nicht so eminent literarisch in Erinnerung.
Flugasche wurde auch nicht literarisch rezipiert. Nur: Nach meinem eigenen Selbstverständnis habe ich keinen Umweltroman geschrieben. In meinem Verständnis war es ein Buch darüber, was passiert, wenn man die Wahrheit schreibt.
Wie sind Sie zu dem Stoff gekommen?
Ich wußte über Bitterfeld so viel, weil ich als Journalistin für die Wochenpost drei Reportagen geschrieben hatte. Und dann schien mir das auch lohnend als Stoff für einen Roman. Hätte ich mich in der Architektur oder in der Bildungspolitik so gut ausgekannt wie mit Bitterfeld, hätte ich auch darüber schreiben können. Aber an erster Stelle stand für mich: Man schreibt die Wahrheit. Und was geschieht dann mit einem selbst, und was geschieht mit den anderen?
In der Bundesrepublik ist Flugasche bei der sogenannten Umweltbewegung sofort auf fruchtbaren Boden gefallen.
Also das war ziemlich kurios. Denn zur gleichen Zeit demonstrierte man im Westen gegen Brokdorf. Das war aber ein Atomkraftwerk, und in Bitterfeld war die Dreckschleuder ein Kohlekraftwerk. Für die Demonstranten im Westen war aber offenbar Kraftwerk gleich Kraftwerk. Allerdings wäre man damals in Bitterfeld über ein sauberes, umweltfreundliches Atomkraftwerk sehr froh gewesen. Daß Flugasche im Westen als Umweltroman gelesen wurde, war für den Erfolg nicht unmaßgeblich. Also soll es mir recht sein.
Wenn mich meine Erinnerung nicht täuscht, hat Marcel Reich-Ranicki Flugasche in den höchsten Tönen gelobt.
Das stimmt. Reich-Ranicki hat das Buch ja in der Frankfurter Allgemeinen als Fortsetzungsroman gedruckt, das gab es damals noch.
Ihre alles erlebende und alles erleidende Protagonistin in Flugasche heißt Josefa Nadler. Hat dieser Name für Sie eine autobiographische Bedeutung?
Ja. Josefa war der Vorname meiner Großmutter. Der polnische Nachname meiner Familie war Iglarz, auf deutsch Nadler. So hieß ich auch, bis ich zwölf war.
Beim Wiederlesen habe ich mich gefragt, ob Sie damals wirklich ernsthaft daran geglaubt haben, daß ein Roman wie Flugasche, in dem die lebensbedrohliche Luftverschmutzung in Bitterfeld, die lebensgefährlichen Arbeitsbedingungen im Kraftwerk und die skandalöse Ignoranz der SED-Parteifunktionäre ungeschminkt zur Sprache kommen, im selbsternannten sozialistischen Arbeiter-und-Bauern-Staat DDR veröffentlicht werden wird.
Ja, habe ich. Zumal auch Hubert Sauer, mein Verleger vom Greifenverlag zu Rudolstadt, fest davon überzeugt war.
Hubert Sauer ist der Mann, der nach einer Nahtoderfahrung ohnehin vor nichts mehr Angst hatte.
Richtig. Und da dachte ich, na, wenn der daran glaubt, dann kriegen wir es vielleicht durch. Ich habe dann fast zwei Jahre mit dem stellvertretenden Minister für Kultur über Änderungen verhandelt und dachte, wenn ich hier und da noch ein bißchen was ändere, dann klappt das. Aber als man mir nahelegte, noch eine positive Figur einzuführen, habe ich gesagt, jetzt ist Schluß, und alle Änderungen im Manuskript wieder rückgängig gemacht.
Marcel Reich-Ranicki lobte Flugasche in den höchsten Tönen.
In meiner Erinnerung war Flugasche ein typisches DDR-Buch über typische DDR-Diktatur-Probleme. Und jetzt hier und heute im Jahr 2025 ist das für mich zu einem Roman über die deutsche Gegenwart geworden.
Leider ist das so. Allerdings war ich schon immer der Meinung, daß das Urteil der Westdeutschen über diese feigen, duckmäuserischen und zurückgebliebenen Ostdeutschen so nicht stimmt. Und wenn mir die Gutwilligen gesagt haben, sie wüßten auch nicht, wie sie sich in der DDR verhalten hätten, dann hätte ich nach einem längeren Gespräch mit ihnen meistens sagen können, wer sie in der DDR gewesen wären. Und jetzt sieht man es ja. Wer viel zu verlieren hat, hält auch jetzt lieber den Mund oder twittert anonym.
Ihre autobiographischen Familienerinnerungen haben den Titel Pawels Briefe, Pawel war Ihr von den Nationalsozialisten ermordeter jüdischer Großvater. Dort ist zu lesen, daß Sie am 10. November 1989, also am Morgen nach der nächtlichen Grenzöffnung an der Berliner Mauer, von Hamburg nach Berlin zu Ihrer seit 1929 kommunistischen Mutter gefahren sind und ihr schon am Gartentor statt einer Begrüßung zugerufen haben: »Ich bin der Sieger der Geschichte!« Und die Antwort Ihrer Mutter war: »Ich weiß.« Fühlen Sie sich auch heute noch als Sieger der Geschichte?
Was die DDR betrifft, ja, aber sonst natürlich nicht. Offenbar ist die sozialistische Utopie etwas, das immer wieder hochkommt, obwohl es immer wieder scheitert. Das ist nicht zu tilgen. Insofern kann man mal vorübergehend der Sieger der Geschichte sein und ein paar Jahrzehnte später nicht mehr. Im Augenblick bin ich es nicht.
Sie sind 1988, ausgestattet mit einem Dreijahresvisum, endgültig aus der DDR ausgereist. Offenbar hoffte die DDR-Führung das auch. Man wollte die ewige Querulantin Monika Maron, immerhin die Tochter einer sehr verdienten Genossin und die Stieftochter von Karl Maron, ehemaliger Polizei- und Innenminister, offensichtlich loswerden. In Hamburg angekommen haben Sie sich nicht den Grünen angeschlossen. Warum eigentlich nicht? Als Autorin von Flugasche hätten die Grünen doch eigentlich Ihre natürlichen Verbündeten sein müssen. Warum hat das damals nicht geklappt?
Na ja, tatsächlich bin ich in Hamburg 1988 bald von Grünen-Frauen zu einer Diskussion eingeladen worden, da stand die Mauer ja noch. Und dann habe ich da gesagt, man müsse bedenken, daß es in der DDR seit 1933 keinen einzigen Tag Demokratie gegeben hat. Daraufhin schrien irgendwelche Frauen los, ob ich denn glaubte, das sei im Westen anders, dort gebe es auch keine echte Demokratie! Und dann habe ich nur gesagt, na, wenn Sie denken, daß alles eine Soße ist, müssen wir auch nicht reden. Also das war die eine Erfahrung, bei der ich dachte: Wo bin ich hier gelandet? Später ging es um den Paragraphen 218 beim Einigungsvertrag …
… Paragraph 218 Strafgesetzbuch hieß damals in der Bundesrepublik noch: »Wer eine Schwangerschaft abbricht, wird mit Freiheitsstrafe bis zu drei Jahren oder mit Geldstrafe bestraft.« Und in der DDR ist der 218 in dieser Form 1972 abgeschafft worden …
… ich weiß noch, ich habe am Fernseher gesessen, mit Tränen in den Augen, denn ich gehöre ja noch zu der Generation, die ohne Pille aufgewachsen ist und jeden Monat einmal gezittert hat, und dann habe ich gesagt, wenn die das rückgängig machen, dann muß man die Frauen dagegen mobilisieren. Doch damit bin ich gescheitert, denn mir wurde gesagt, mit dem Thema lockt man ja keinen Hund mehr hinterm Ofen vor. Und überhaupt die DDR-Frauen, die wären feministisch ja alle hinterm Mond. Da wußte ich, daß die linken Westfrauen überhaupt keine Ahnung von den DDR-Frauen haben. Die hatten zwar Judith Butler nicht gelesen, waren aber viel selbständiger als viele Frauen im Westen.
Inwiefern waren sie das?
Die waren unabhängig, sie haben ihr eigenes Geld verdient. Und wenn der Mann ihnen nicht gefiel, dann haben sie ihn rausgeschmissen. Was aber nicht bedeutete, daß sie nicht den nächsten Mann geheiratet hätten – sie sind deshalb nicht lesbisch geworden. Und ich habe dann damals allein etwas zu diesem Thema im Spiegel geschrieben. Daß die DDR in dieser Beziehung toleranter war, lag wohl auch daran, daß das Recht auf eine Schwangerschaftsunterbrechung schon zu den Forderungen der alten Arbeiterbewegung gehörte.
Für Christen ist Abtreibung generell eine Sünde. Und vor allem traditionelle Katholiken betonen das.
Ich glaube ja nicht an Gott.
Das erstaunt mich nicht, denn das betonen Ihre weiblichen Romanfiguren bei jeder denkbaren Gelegenheit. Warum eigentlich ist Ihnen das so wichtig?
Na ja, weil es ja auch eine Leerstelle ist, die man benennen muß. In meinen alten Tagebüchern kommt Gott immer mal wieder vor. Zum Beispiel sitze ich neben meiner sterbenden Tante, und dann steht da plötzlich: »Ich wußte nicht, was ich sagen sollte.« Und dann: »Gott fehlt.« Gott geistert ständig bei mir rum. Nur: Ich glaube nicht an einen Gott. Ich glaube schon an etwas, aber nicht an Gott, also nicht an einen personifizierten Gott.
»Haben Sie keine Angst vor metaphysischer Leere?«
Ihre Großeltern Josefa und Pawel waren tiefgläubige Menschen. Josefa ist als Katholikin zu den Baptisten konvertiert und Pawel, als orthodoxer Jude aufgewachsen, auch. In einer polnischen baptistischen Gemeinde haben die beiden sich kennengelernt. Ihre Enkeltochter Monika glaubt nicht an Gott. Haben Sie keine Angst vor einer metaphysischen Leere??
Es ist schon komisch, daß Leuten wie mir, die nicht im christlichen Sinne an Gott glauben, mangelnde Transzendenz unterstellt wird. Denn das stimmt einfach nicht. Man kann, ohne an einen Gott zu glauben, trotzdem wissen, daß wir in Zusammenhängen leben, die wir nicht erkennen und nicht verstehen können. Und damit weiß ich, es existiert etwas, das ich nicht verstehe, das ich nicht weiß, das ich nicht kenne. Bloß daß ich nicht mit etwas kommuniziere, von dem ich nicht weiß, was es ist. Aber ich glaube schon an Zufälle ungeheurer Art und frage mich: Warum ist mein Leben eigentlich geworden, wie es geworden ist? Und in bestimmten Zeiten meines Lebens habe ich mit Geistern gesprochen. Diese Geister waren meine Großeltern, die ich nie kennenlernen durfte. Oder meine tote Tante Martha. Also Leute, von denen ich dachte, die sind mir wohlgesonnen und passen auf mich auf. Wirklich geglaubt habe ich das wohl nicht, eher darauf gehofft, vielleicht war es auch nur ein Akt der Selbstbeschwörung.
Ein weites Feld … Dann lassen Sie uns jetzt über Ihren zweiten und ebenfalls berühmt gewordenen Roman, Stille Zeile Sechs, sprechen. Den haben Sie 1993 publiziert, und im Zentrum der Handlung steht eine vom kommunistischen Vater enttäuschte und auch darum antikommunistisch gewordene Frau mit einem DDR-typischen verknöcherten Altkommunisten. War das Ihre persönliche Auseinandersetzung mit Karl Maron?
Nein, das ist eine Auseinandersetzung mit seiner kommunistischen Generation. Die saßen überall. Aber sicher sind auch bestimmte Erfahrungen mit einem mir bekannten Mann eingeflossen, der, wie meine Romanfigur Herbert Beerenbaum, vom Volksschüler zum Professor aufgestiegen war, vielleicht nur an einer Parteihochschule, und dieser reale Mann war viel ausschlaggebender, weil er viel intellektueller war als Karl Maron. Aber ich habe in dieser Zeit einige Autobiographien von solchen Leuten gelesen. Und dieser Herbert Beerenbaum, das sind sie alle zusammen.
Hätten Sie Stille Zeile Sechs auch geschrieben, wenn Karl Maron nicht der Ehemann Ihrer Mutter gewesen wäre?
Wahrscheinlich, denn in dem Buch ging es mir auch um mehr als die Kritik an einem DDR-Altkommunisten. Für mich war wichtig, daß Beerenbaums Gegenspielerin Rosalind Polkowski ihm beim Aufschreiben seiner Autobiographie fast ähnlich wird und droht in ihrem Haß aufzugehen. Und das war mein wichtiges Thema bei dem Buch. Gedacht auch als Selbstschutz, weil ich an mir selbst gemerkt habe, daß man sich durch diesen Haß seinem Feind anverwandelt.
»Auch der Haß gegen die Niedrigkeit verzerrt die Züge«, schreibt Brecht in seinem Gedicht »An die Nachgeborenen«. Das trifft den Punkt, nicht wahr?
Ja.
In Pawels Briefe ist auch Ihre Beziehung zu Ihrer Mutter, Helene genannt Hella, bedeutsam. Nach der Veröffentlichung von Flugasche in der Bundesrepublik ging Ihre Mutter-Tochter-Beziehung in die Brüche. Aber offenbar haben Sie es schließlich geschafft, sich zu versöhnen.
Wir haben ein Jahr lang nicht miteinander gesprochen und uns danach wieder versöhnt. Pawels Briefe habe ich im Grunde mit ihr gemeinsam geschrieben. Ich habe sie ständig gefragt und ihr gesagt: Wenn du etwas nicht willst, wenn etwas gegen deine Ehre geht, dann nehme ich das raus. Aber sie war mit dem Buch einverstanden. Wir haben ständig telefoniert, weil ich viele Fragen hatte. Zum Beispiel: »Weißt du noch, was Martha bei der Gelegenheit für ein Kleid anhatte?« Nein, das wußte sie nicht. Aber dann rief sie irgendwann zurück und sagte: »Also das, wonach du gefragt hast, weiß ich wirklich nicht. Aber mir ist was anderes eingefallen. Und als wir fertig waren, also ich fertig war, hat sie gesagt: »Ach schade, jetzt fragst du mich gar nichts mehr.« Zwei Jahre lang habe ich sie ständig nach ihrer Jugend und bestimmten Situationen gefragt, das war für sie wichtig und schön, es hat ihre Erinnerungen belebt. Am Ende war sie übrigens sehr stolz, daß sie ein Stasiakte hatte.
Was stand darin?
Daß sie für mich Kurierdienste übernommen hat, und das stimmte sogar und war keine Lüge.
Beim Lesen Ihrer Bücher und Essays habe ich mich mehrfach gefragt: Hat Monika Maron denn vor nichts Angst? Sind Sie furchtlos oder besonders mutig?
Mut ist, wenn man seine Angst überwindet. Was ja nicht heißt, daß man vorher keine hat. Aber sagen wir mal so: Inzwischen ist es mir ziemlich wurscht, was über mich geschrieben wird.
»Mut ist, wenn man seine Angst überwindet.«
Von Flugasche bis heute, da sehe zumindest ich eine stringente Linie. Sie nicht?
Ja? Ich weiß nicht. Nachdem Karl Maron gestorben war, hatte ich Geld, um ein Buch zu schreiben. Ich kündigte bei der Zeitung und schrieb Flugasche. Den Hefter mit den Schreibmaschinenseiten habe ich überallhin mitgenommen. Wenn ich den Sessel gewechselt habe, habe ich ihn mitgenommen, und wenn ich ins Bett gegangen bin, habe ich ihn vor das Bett gelegt. Und dann habe ich anderthalb Jahre mit der Hauptverwaltung Verlage und Buchhandel im Kulturministerium gekämpft, vergebens, aber ich hatte mein Buch, und nun wollte ich es auch gedruckt sehen. Und wenn es nur im Westen möglich war, dann eben da.
Und dann gleich nicht in irgendeinem x-beliebigen, sondern im 1886 von Samuel Fischer in Berlin gegründeten, weltberühmten S. Fischer Verlag, dem Verlag von Thomas Mann, um nur ihn zu nennen. Aber dort wollte man Sie nach vierzig Jahren offensichtlich nicht mehr. Warum nicht?
In wenigen Worten gesagt: Dort waren meine politischen Positionen nicht mehr gern gesehen, und die Verlagsleiterin, Siv Bublitz, sagte mir bei unserem Treffen im »Goldenen Stern« am Bayerischen Platz kurz und bündig, sie wolle mir keinen neuen Vertrag mehr geben. Ich sagte: »Okay.« Was ja nun nicht wirklich eine vernünftige Reaktion war. Darauf sagte sie erneut: »Ich will Ihnen keinen neuen Vertrag geben.« Und ich sagte: »Ist gut, dann kann ich ja jetzt gehen«, nahm meinen Mantel und meinen Hund und ging, und Frau Bublitz war, schien mir, fassungslos. Was sie von mir erwartet hat, weiß ich nicht. Aber ich brauchte einen neuen Verlag.
Der Verlagswechsel: ein gutes Beispiel für Mut und Furchtlosigkeit
Und das ist dann Hoffmann und Campe geworden. Die Art Ihres Verlagswechsels paßt für mich zu meiner These von Ihrer Furchtlosigkeit. Ein gutes Beispiel dafür ist, daß Sie schon 2010 und tatsächlich noch im Spiegel Henryk M. Broder gegen den Vorwurf, er sei islamophob, verteidigt haben. Nicht erst nach der Grenzöffnung 2015, sondern schon 2010.
Ich weiß.
Warum haben Sie Broder verteidigt?
Mir war aufgefallen, daß sich die Grünen und die Linken dieses Themas bemächtigt hatten und mit dem Schlagwort »islamophob« im Grunde genommen auch die säkularen Muslime entmündigt haben. Und ich fragte mich: Warum entmündigen die eigentlich immer die Leute, die für sich selber sprechen müßten und das auch wollen? Ich habe mich, zusammen mit Gleichgesinnten, auch gleichgesinnten Türken, Kurden und Iranern, einige Jahre mit dem Thema Islam beschäftigt und mir den Ruf, ich sei islamophob, eingehandelt.
Und Sie sind niemals zurückgezuckt. Haben niemals Selbstkritik geübt und niemals versucht, von den Linken geliebt zu werden. Ich neige dazu, Ihren Widerstand heldenhaft zu finden. Auch darum möchte ich mit Ihnen noch über Ihren Roman Artur Lanz sprechen, in dem auf höchst amüsante Weise das Thema »Welche Helden braucht das Land, und braucht es überhaupt welche?« verhandelt wird. Wie sind Sie zu diesem Stoff gekommen?
Zuerst bin ich über das Wort »postheroisch« gestolpert und habe mich gefragt, was das eigentlich für eine Gesellschaft bedeutet. Wenn man das Wort »Held« ausspricht oder sagt: »Ich finde Helden großartig«, dann wird man sofort verdächtigt, kriegerische Helden zu verherrlichen oder einem überwundenen Bild vom Mann nachzutrauern. Aber ein Mensch kann ein Leben lang kein Held sein, und dann hat er einen heldenhaften Tag, weil er herausgefordert war und über sich hinauswächst. Ich habe das Heldentum in Artur Lanz ja am Ende wirklich reduziert auf ganz einfachen Mut.
Vielleicht schaffen es in Deutschland nur noch heldenhafte Männer und Frauen, den im Wochentakt massiver werdenden Linksrutsch und die anschwellende Einschränkung der Meinungsfreiheit in Deutschland aufzuhalten.
Na ja, ich denke auch: Warum läßt sich die Mehrheit in diesem Land das alles gefallen? Was würde geschehen, wenn alle, die jetzt noch schweigen, ab morgen sagen würden, was sie wirklich denken? So viele Leute kann man weder rausschmeißen noch reglementieren noch sonst irgendwas. Dann wäre der Spuk vorbei.
In einem Essay, den Sie am 1. Dezember 1989 in der Zeit veröffentlicht haben, haben Sie es gewagt, gewissermaßen in einem Atemzug, die Millionenopfer der Nationalsozialisten und die Millionenopfer der Kommunisten aufzuzählen. Das war in der Bundesrepublik spätestens seit dem Historikerstreit 1986/87 tabu, weil das angeblich einer Relativierung und Verharmlosung der NS-Opfer gleichkam. Diesen Text würde die Zeit heute vermutlich nicht mehr veröffentlichen.
Meinen Sie? Ich lese die Zeit kaum noch. Es hat sich viel verändert seit damals, als es noch Gerd Bucerius und Helmut Schmidt bei der Zeit und Rudolf Augstein beim Spiegel gab. Ich kann mir nicht vorstellen, daß damals fast die gesamte Medienlandschaft den Fake von Correctiv unkritisch verbreitet hätte.
Die Stichworte dazu sind Potsdam, Wannseekonferenz, Remigration.
Wenn ich daran denke, wie diese NGOs innerhalb von wenigen Tagen Hunderttausende mobilisieren konnten, die gemeinsam mit der Regierung gegen den angeblich drohenden Faschismus demonstrierten, dann kann man schon Angst bekommen. Außerdem: Ich demonstriere doch nicht mit der Regierung an der Spitze für oder gegen irgendwas! Und eine NGO wie Correctiv ist eben eher eine GO, eine Governmental Organization, wie sich gerade bei dieser Aktion gezeigt hat.
Als Sieger der Geschichte wie am 10. November 1989 fühlen Sie sich wohl nicht mehr.
Na gut, sagen wir mal so: Seit dem Mauerfall glaube ich an Wunder. Man weiß nie, was vielleicht doch noch passiert.
Frau Maron, ich danke Ihnen für das Gespräch! ◆

INGO LANGNER,
geb. 1951 in Rendsburg, lebt in Berlin. Autor, Literaturkritiker und Publizist sowie lange Zeit Fernsehproduzent und Theaterregisseur; heute Chefredakteur von Cato.