Ein Tory-Abgeordneter namens Jacob Rees-Mogg mischt die englische Politik auf. In mehrfacher Hinsicht verstört er den politisch korrekten Mainstream des Empire. Als Gegenspieler Theresa Mays hat Rees-Mogg gewisse Chancen auf den Posten des Premierministers. Der verfahrene Brexit macht selbst die nahe Zukunft unkalkulierbar.
Der Economist nennt ihn einen »Nadelstreifen-Populisten« und Politico einen »Tory-Maoisten«. Jacob Rees-Mogg selbst sagt, daß er sich »zu keinem Zeitpunkt« bemüht habe, »auch nur ein moderner Mensch zu sein«. In Großbritannien wird er als »unser Mann fürs 18. Jahrhundert« verspottet, als ein historisches Relikt. Trotzdem oder gerade deshalb ist er zu einem Idol geworden; Hunderttausende verfolgen seine Social-Media-Auftritte. Mittlerweile hat er, wenn auch keine großen, immerhin greifbare Aussichten auf das Amt des Premierministers. Wie konnte ein in Oxford ausgebildeter Hedgefonds-Manager aus der Oberschicht, der meist im Zweireiher auftritt, die Stimme jener einfachen Briten werden, die für den Brexit gestimmt haben?
Ein Großteil der von Rees-Mogg ausgehenden Faszination beruht auf seiner Stimme, die ein perfektes »Upper-Class-Dehnen« kennzeichnet. Rees-Mogg zieht seine Vokale in die Länge, bis aus »yes« »ye-aas« wird und aus »here« »hee-ra«. Das klingt nach einem Kriegsberichterstatter der BBC um 1918. Für seine Anhänger ist es der Klang eines siegesgewissen Großbritannien, das bereit ist, seine verlorene Weltmachtrolle zurückzuerobern. Seine Gegner allerdings fühlen sich eher an die Privilegien der Welt von gestern erinnert. Beide Deutungen dürften berechtigt sein.
Jacob Rees-Mogg ist 49 Jahre alt und römisch-katholisch. Seine Ehefrau ist Anglikanerin, stammt mütterlicherseits aus dem englischen Hochadel und ihr Vater war der Schriftsteller und Politiker Somerset Struben de Chair (1911–1995). Das Paar hat sechs gemeinsame Kinder. Das jüngste Kind, ein Sohn, trägt nach römischem Brauch den Namen »Sixtus«. Rees-Mogg ist selbst nicht adlig, aber tief in der britischen Upper Class verwurzelt. Er entstammt einer Familie, die im Zeitungswesen tätig war und auch Politiker hervorgebracht hat. Sein Vater, Lord William Rees-Mogg (1928–2012), war von 1967 bis 1981 Herausgeber der Times of London. Im Jahre 1981 wurde er von der Queen in den Adelsstand erhoben. Ab 1989 saß er als »life peer« mit dem nichterblichen Titel eines Baron im Oberhaus. Bereits der junge Rees-Mogg verfügte daher über gute Kontakte zu Politik, Wirtschaft und Kultur.
Rees-Mogg interessierte sich früh für das Geschäftsleben und die Finanzmärkte. Bereits 1981 trat er als eloquenter Zwölfjähriger in der BBC-Sendung »Today« auf und berichtete von der Aktionärsversammlung der General Electric Company (GEC), an der er eigene Anteile hielt (vgl. BBC.co.uk). »Ich mag die Ausschüttungen«, antwortete er auf die Frage nach dem Motiv für seine Beteiligung. Gewinne investierte er in neue Geschäfte oder in antikes Silber – als seine Altersgenossen eher von Kaugummi, Levi’s-Jeans und New-Wave-Musik träumten. Bereits damals wirkte Rees-Mogg intelligent und entschlossen. Offenbar hatte er seine Antworten so lange eingeübt, bis sie für die Zuhörer vollkommen spontan wirkten. Dem Radiomoderator erklärte er, daß er Chef von GEC werden wolle, bevor er dreißig sei: »Ich wollte schon immer diesen Job.« Zufälligerweise war der damalige Vorstandsvorsitzende ein Freund der Familie. Die einzige Sorge des jungen Investors bestand darin, daß die Firma verstaatlicht werden könnte – es sei denn, die Tories wüßten es zu verhindern. Der frühe Radioauftritt entsprang nicht etwa einer kindlichen Laune, sondern bereits Jacobs Gewinnstreben. »Liebe Today-Sendung«, hatte Rees-Mogg warum auch immer an die BBC geschrieben, »Sie schulden mir 18 Pfund. (…) Wenn Sie mir das Geld nicht innerhalb von zehn Tagen erstatten, werde ich mich an meinen Anwalt wenden. Ich hoffe, daß es dazu nicht kommt, da ich die BBC nur ungern verklagen würde.« 2007 gründete der frühreife Investor das lukrative »Somerset Capital Management« mit, für das er bis heute tätig ist. Seine Ausbildung ist typisch für einen Mann seiner Herkunft. Er besuchte die private Westminster Under School nahe Westminster Abbey, später ging er nach Eton sowie an das Trinity College in Oxford und studierte Geschichte. Klassische Sprachen hat er, anders als gelegentlich behauptet wird, nicht studiert, auch wenn er nie um eine lateinische Phrase verlegen ist. Sein erster Tweet lautete, »tempora mutantur, et nos mutamur in illis« – womit er wohl kaum Wankelmütigkeit bekennen wollte.
Wenn die Engländer für einen erfolgreichen Brexit einen der ihren suchen, jemanden, der so unmißverständlich englisch ist wie ein lauwarmes Ale oder die ruppigen Wortgefechte im Unterhaus, dann müßte Rees-Mogg eigentlich ihr Mann sein. Er könnte ihnen helfen, »in Englands grünem und lieblichem Land«, wie es in der inoffiziellen Nationalhymne nach einem Gedicht von William Blake heißt, das neue Jerusalem zu errichten – statt in Brüssel das neue Rom. Drei Probleme bringt diese Erwartung allerdings mit sich: Erstens suchen viele britische Machthaber und auch viele Briten keineswegs nach »einem der ihren«, vor allem dann nicht, wenn sie Engländer sind. Zweitens ist der Brexit ein Desaster, das vermutlich niemand mehr abwenden kann. Und drittens qualifiziert Rees-Moggs Katholizismus ihn grundsätzlich nicht als »einen der ihren«.
»Little England«
Fast überall im Westen hat die Oikophobie Konjunktur, die Angst vor dem Eigenen. Auch unter den wichtigsten britischen Meinungsmachern gibt es eine besondere Abneigung gegen diejenigen, die »Merry Old England«, also England und das Englische, offen wertschätzen und es gegen das Europäische abgrenzen. Diese bemitleidenswert rückwärtsgewandten Leute lieben das englische Landleben (einschließlich der Parforcejagd) sowie die Tradition des Common Law und der ungeschriebenen Verfassung. Sie ziehen ein englisches Ale und einen »Sunday Roast« (Sonntagsbraten) jeder anderen Küche vor und gedenken bis heute der erfolgreichen Niederlassung von Engländern an fremden Küsten. All das wird nicht nur als rückwärtsgewandt, sondern auch als xenophob, kolonialistisch und antieuropäisch verurteilt, wobei der letzte Vorwurf am schwersten wiegt. Leute mit derart verwerflichen Einstellungen heißen schlicht »Little Englanders«. Eine der wichtigsten Stimmen im Kampf gegen »Little England« ist der Guardian. Regelmäßig druckt die Zeitung ernste oder satirische Artikel, die ihre Abscheu gegen die Little Englanders kaum kaschieren. Diejenigen, die die Weltsicht des Guardian teilen, werden wiederum »Guardianistas« genannt. Sie gehören mehrheitlich der oberen Mittelschicht an, leben urban, sind gut ausgebildete und nichtreligiöse Anhänger der EU, sie wählen Labour, die Grünen oder die Liberaldemokraten und beachten meist die moralischen Imperative der Politischen Korrektheit.Die Haltung der Guardianistas ist völlig rational. Sie profitieren von der finanzökonomischen Blasenbildung, insbesondere in London. Sie sind flexibel genug, viel ins Ausland zu reisen oder – falls gewünscht – dort auch zu arbeiten. Viele von ihnen besitzen ein Ferienhaus in Frankreich oder Spanien, und daheim frequentieren sie fleißig relativ teure Cafés, Restaurants, Spas und Fitneßclubs – all jene Dienstleister, die viele Einwanderer aus der EU und dem Rest der Welt beschäftigen.
Wie die Eliten kontinentaleuropäischer Länder sind auch die Guardianistas schon aus rationalem Eigeninteresse dezidiert EU-freundlich eingestellt. Sie und ihre geistigen Vorfahren warten seit zweihundert Jahren darauf, daß Napoleon endlich den Kanal überquert, um den Little Englanders die Errungenschaften der Französischen Revolution zu schenken: den absoluten Neuanfang einer Politik, die allein von der Vernunft gelenkt ist und nicht von Geschichte oder Traditionen. Statt des Common Law wünschen sie sich ein Zivilrecht wie den Code Napoléon, sie hoffen auf das Ende der erblichen Privilegien sowie die Entmachtung der Anglikanischen Kirche, und sie hegen großes Vertrauen in die Fürsorge der Regierung und der internationalen Organisationen. Auch wenn sie einen rein zeremoniellen Monarchen gerade noch tolerieren würden, sind sie im Grunde Republikaner.
Die Guardianistas sind die gegenwärtige Inkarnation des damals nonkomformistischen walisischen Predigers Richard Price (1723–1791), der in der Französischen Revolution die Vorsehung Gottes wirken sah. Als Edmund Burke Price’ Ansichten scharf kritisierte, begründete er die moderne konservative Bewegung der englischsprachigen Welt. Rees-Mogg wiederum ist ein englisch-katholischer Nachfahre des irischen Protestanten Burke. Er verkörpert den sehr englischen Lebensstil sehr weniger Engländer. Die Guardianistas meinen, die fortdauernde Existenz dieser Art von Menschen nicht ertragen zu können. Es macht sie rasend, daß einer wie er so beliebt ist. Ein Kommentator des Guard-
ian ließ sich in vorgeblich humoristischer Absicht sogar dazu verleiten, Rees-Mogg mit Satan persönlich zu vergleichen.
Ein »Hundebrexit«
Die Guardianistas repräsentieren bei weitem nicht die Mehrheit der Briten. Aber als Hüter der Politischen Korrektheit sind sie ein guter Indikator dafür, was die öffentliche Meinung zu akzeptieren bereit ist und was nicht. Die Guardianistas bilden eine solide Formation aus Erziehern, Kulturkritikern, Radio- und Fernsehkommentatoren, Pastoren, Sozialarbeitern und Ärzten sowie all jenen, die ihren unverhältnismäßig großen Einfluß ihrer beruflichen Funktion verdanken. Wenn die Guardianistas die Briten rechtzeitig davor gewarnt hätten, daß sie sich mit dem Brexit einen Premierminister Rees-Mogg einhandeln könnten, hätten sie garantiert für den Verbleib in der EU gestimmt.
Ston Easton Park ist ein typisches englisches Landhaus aus dem 18. Jahrhundert in der Nähe von Ston Easton, Somerset. In seiner heutigen Form wurde das Haus, in dem Jacob Rees-Moog zeitweilig aufwuchs, zwischen 1750 und 1760 an der Stelle eines älteren Hauses aus der Tudor-Zeit errichtet. Von 1964 bis 1977 gehörte es Jacobs Vater William Rees-Mogg. Er begann das Haus zu restaurieren, bevor es sein Nachbesitzer, der Unternehmer Peter Smedley, in ein Hotel umwandelte. Foto: Handout
Etwas, das sehr schlecht gemacht ist, nennt man in Großbritannien auch ein »Hundefrühstück« (»a dog’s breakfast«). Was wir derzeit in Großbritannien erleben, könnte man ohne Übertreibung als »Hundebrexit« (»a dog’s Brexit«) bezeichnen. Für den EU-Austritt stimmte am 23. Juni 2016 eine relativ knappe Mehrheit von 52 zu 48 Prozent, was einer Differenz von über einer Million Stimmen entsprach. Die Wahlbeteiligung lag bei 72 Prozent. Aus der Nähe betrachtet wird das Bild nuancierter: England und Wales stimmten für den Brexit, Schottland und Nordirland dagegen, die Schotten mit 62 Prozent. Das Gesamtergebnis offenbarte also eine bedrohliche Spaltung. Trotzdem begannen die »Leavers«, den Brexit mit Hilfe der komfortablen konservativen Mehrheit im Unterhaus und der großen Zahl von Brexiteers in den Reihen von Labour in die Tat umzusetzen.
Die »Widerspenstigen«
Dann kam die Tragödie. David Cameron trat fast unmittelbar nach Bekanntgabe des Ergebnisses zurück, anscheinend auch aus persönlicher Scham. Er hatte einfach nicht geglaubt, daß die Austrittsbefürworter gewinnen könnten. Nach einigem Stühlerücken wurde Theresa May, vormals Befürworterin des Verbleibs, neue Premierministerin. Sie versuchte, »auf der konservativen Welle zu reiten«, um die Mehrheit ihrer Partei im Unterhaus zu vergrößern – und damit den Brexit leichter zu machen. Jedenfalls war das ihr Plan. Sie setzte Wahlen an, bei denen die Konservativen am 8. Juni 2017 dreizehn Sitze verlieren sollten, während Labour 30 dazugewann. Mays Konservative blieben stärkste Partei; für die Regierungsmehrheit brauchten sie aber fortan die Unterstützung der kleinen nordirischen Democratic Unionist Party. May war empfindlich geschwächt, blieb aber am Ruder.
Die üblichen Verdächtigen fühlten sich ermutigt, ihr die Führung streitig zu machen. Viele Prätendenten einschließlich Boris Johnson sind Pragmatiker, die den Brexit in erster Linie deshalb unterstützen, weil sie sich dadurch ihre Macht zu erhalten hoffen. Anders Rees-Mogg. Zusammen mit einer Truppe Brexit-Konservativer erzwang er am 12. Dezember 2018 die Vertrauensfrage im Parlament. May überlebte zum zweiten Mal. Dennoch dürfte die Abstimmung etwas anderes als einer der üblichen Schachzüge machthungriger Politiker gewesen sein. Rees-Mogg handelt augenscheinlich nach klaren politischen Prinzipien, die, wie er bekennt, auf seinem christlichen Glauben beruhen. Noch mehr Gewicht hat in der britischen Politik allerdings die Tatsache, daß er wenigstens teilweise die bislang offene Frage beantwortet, wie das Leben in Großbritannien nach dem Brexit aussehen könnte.
»Brexit bedeutet Brexit«, lautet seit 2016 Mays Schlachtruf. Aber was bedeutet das konkret? Angesichts der Aufgabe, den Briten eine glaubhafte Vision für ein Leben nach der EU zu vermitteln, hat Mays Regierung auf ganzer Linie versagt. Die Regierungschefin nennt das Vereinigte Königreich – so weit, so gut – eine »kostbare Union«. Aber was die Briten wirklich brauchen, ist ein konkreter Plan in bezug auf Handel, Arbeit, Migration, Landwirtschaft, Transport, Justiz, Staatsverträge und, am allerwichtigsten, für die politische Einheit des Vereinigten Königreichs. Sie vor allem ist durch den Brexit bedroht.
Wenn das Ergebnis des zwei Jahre alten Referendums auch heute noch die Stimmung in den Landesteilen korrekt wiedergibt, dann will Schottland das Vereinigte Königreich verlassen und in der EU verbleiben. Nordirland ist eine offene Frage. Wie lange würden selbst die dortigen Protestanten eine ineffektive Regierung in Westminster dulden, wenn es durch die Schwäche Londons erneut zu Unruhen in Belfast käme? Was hält das Vereinigte Königreich noch zusammen, wenn es die EU ohne klaren Plan und ohne langfristige Vision verlassen hat? In der Tat ist die Zukunft des Vereinigten Königreichs außerhalb der EU sehr viel unsicherer als innerhalb. Bisher wurde die Union nicht unmaßgeblich durch den Willen Schottlands und Nordirlands zur Mitgliedschaft in der EU zusammengehalten. Denn nach geltendem EU-Recht können abtrünnige Teile ausgetretener Mitgliedstaaten höchstens nach langer Wartezeit wieder in die EU eintreten. Es gibt viele Gründe dafür, daß »Brexit« auch heute noch nicht Brexit bedeutet. Der wichtigste ist, daß Großbritannien keine echte Führung hat, die vom Volk als solche anerkannt und respektiert wird.
Es fehlen Politiker mit Mut und Vision, die das Land woanders hinführen könnten als nach Brüssel. Die 229 Stimmen gegen den von Theresa May ausgehandelten Brexit-Deal am 15. Januar im Londoner Unterhaus – ohne eine greifbare, umsetzbare Alternative – liefern eine Vorstellung davon, welche Probleme Großbritannien in dieser Sache noch erwarten könnten. Oppositionsführer Jeremy Corbyn (Labour) ist ebenso ein Freund des schwachen Brexit wie der »Maybot«. Drei Jahrzehnte lang hat die britische Politik im Zuge ihres Bemühens, das Klassensystem abzuschaffen, systematisch ihre politische Führung zerstört.
In jüngerer Vergangenheit hat dazu vor allem das Programm von Tony Blair und New Labour mit ihrer Parole »Leistung vor Zugehörigkeit« (»merit over belonging«) beigetragen. Zu den Anti-Little-England-Maßnahmen zählt vor allem die Politik des Mitregierens (»devolved rule«), die allen Landesteilen außer England eigene Parlamente zugesteht. Zudem förderte die intensive Einwanderung den Multikulturalismus in einem Maße, daß ein Mann wie Andrew Neather, einst Labour-Berater und Redenschreiber Tony Blairs, die Chance witterte, »den Rechten die Agenda der Vielfalt so lange unter die Nase zu reiben, bis ihre Argumente komplett überholt sind«. Es war das erklärte Ziel dieser Leute spätestens seit den frühen 2000er Jahren, die Bevölkerung des Landes massiv zu durchmischen, um die englische Leitkultur zu neutralisieren. Europapolitik und Einwanderungspolitik zogen am selben transnationalen Strang. Sogar viele Konservative haben inzwischen die Anti-England-Pille geschluckt. Selbst wenn also zwanzig Rees-Moggs jeglicher Konfession und Couleur als gewählte Abgeordnete im Unterhaus säßen, wäre es ungewiß, ob sich der engültige Sieg des Multikulturalismus noch abwenden ließe. Zu lange hat es zu sehr an Führung gefehlt. Außerdem haben sich maßgebliche Politiker auf viel zu schwache Weise für oder gegen einen Verbleib in der EU positioniert. Unterm Strich wurde der Brexit zwar verkündet, aber niemals wirklich geplant.
Aktuell sitzt ohnedies nur ein Rees-Mogg im Parlament. Kurz vor Weihnachten 2018 bat Theresa May die sechs Tory-Rebellen, die sie hatten stürzen wollen, einschließlich Jacob Rees-Mogg zu einem Geheimtreffen. Bei dieser Gelegenheit soll die Premierministerin gesagt haben, daß der wichtigste Unterschied zwischen ihr und Rees-Mogg darin bestehe, daß sie, die Pastorentochter, anders als er Mitglied der Church of England sei. Damit mag sie zunächst nur auf seine Prinzipienfestigkeit und ihren Pragmatismus angespielt haben. Vielleicht wollte sie Rees-Mogg aber auch britisch-dezent zu verstehen geben, daß er als Katholik prinzipiell nicht geeignet sei, sie in ihrem Amt zu beerben.
Spätestens seit den Tagen Königin Elizabeths I. war das englische Establishment für sehr lange Zeiten alles andere als ein Freund der Katholiken. Diejenigen, die nicht der Anglikanischen Kirche beitreten wollten, meist Katholiken, nannte man »die Widerspenstigen« (»Recusants«) und verweigerte ihnen sowohl Ehrentitel als auch öffentliche Ämter. Ursprünglich wurden sie wegen ihrer Glaubensfestigkeit regelrecht verfolgt, insbesondere Priester, die man zuweilen sogar exekutierte. Mancherorts reichte die gesellschaftliche Diskriminierung bis ins 20. Jahrhundert.
Offiziell durften Katholiken erst seit dem »Roman Catholic Relief Act« von 1829 ihren Glauben öffentlich ausleben. Sukzessive erhielten sie Zugang zu Universitäten, staatlichen Schulen, öffentlichen Ämtern und zum Parlament. Trotzdem ist etwa die Thronfolge bis heute auf Anglikaner beschränkt; anglikanische Bischöfe sitzen im Oberhaus, und die Anglikanische Kirche ist landesweit als Staatskirche etabliert. Tony Blair gab ein Lehrstück für die öffentliche Zurückhaltung von Katholiken ab, als er sich erst nach seinem Rücktritt vom Amt des Premierministers die Konversion gestattete. Die Politik macht prinzipiell wenige Zugeständnisse an katholische Organisationen. Katholische Adoptionsvereine mußten sogar schon schließen, weil sie homosexuellen Paaren keine Kinder vermitteln wollten. Und die katholischen Schulen, die einen besseren Ruf haben als die staatlichen, sind neuerdings verpflichtet, auch Schüler anderer Konfessionen aufzunehmen.
Diese Geschichte der Exklusion versetzt gebürtige britische Katholiken, die keine Iren sind, in eine besondere Situation. Irische Katholiken in Großbritannien und Irland setzen sich vehement für den Verbleib in der EU ein, vor allem, um größtmögliche Distanz zur (potentiell) protestantischen Macht Londons zu wahren. Daß die ehemaligen Recusants einen wichtigen Block unter den Brexiteers bilden, entbehrt daher nicht einer gewissen Ironie. Der Antikatholizisimus ist durchaus ein wichtiger Teil altenglischer Identität. Und nun ist vielleicht der letzte echte englische Gentleman der britischen Politik katholisch. Ironien dieser Art kennt die Geschichte ohne Zahl.
Visionen für das Leben danach
Trotzdem kann einen Mann wie Jacob Rees-Mogg, ähnlich wie einst Sir Thomas More, der tiefe Graben zwischen seinen Überzeugungen (etwa zum Thema traditionelle Familie) und den austauschbaren Ansichten seiner Landsleute auf Dauer nicht kaltlassen. Je mehr er seinem Gewissen folgt, desto mehr dürfte er den britischen Durchschnittswähler vor den Kopf stoßen. Wichtiger als solche potentiellen Irritationen könnte am Ende aber die Tatsache sein, daß dieser fundamental englische Gentleman eine persönliche Vision für das Leben in England nach dem Brexit hat. Die mag nicht nach jedermanns Geschmack und Geldbeutel sein, aber sie ist immer noch überzeugender als all die leeren Worte wie »Leave«, »Remain« oder »Brexit means Brexit«. In Zeiten der Krise, in denen sich die Briten gern in behagliche Narrative über sich selbst zurückziehen, suchen sie nach Geschichten wie Downton Abbey, der beliebten BBC-Serie, oder wie die in den achtziger Jahren entstandene Verfilmung von Evelyn Waughs Buch Brideshead Revisited. Jacob Rees-Mogg ist die Inkarnation ebendieses Ideals des Englischen. Sowohl der Brexit als auch ein Donald Trump haben zur Überraschung der Guardianistas, der »vernünftig denkenden Leute«, die Gunst des Publikums gewonnen. Könnten sie sich auch in Rees-Moggs Chancen auf seinen Einzug in die Downing Street täuschen? Jeder, der die Antwort zu kennen meint, kann sich schon jetzt an ein britisches Wettbüro wenden. ◆
Aus dem Englischen übertragen von Andreas Lombard.
JONATHAN PRICE
Jonathan Price, geb. 1981, ist Fellow am »Zentrum zur Förderung von Bildung und Kultur nach Papst Johannes Paul II.« in Warschau und Junior Research Fellow an der Universität Oxford sowie Herausgeber von Politics & Poetics (www.politicsandpoetics.co.uk).