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WIR MÜSSEN UNS SORGEN MACHEN

31. Juli 2025 von INGO LANGNER

»Wenn die Lage so ist wie von mir skizziert, dann kann sie in Deutschland nur demokratisch politisch beendet werden durch eine demokratische Revolution. So sehe ich das«

Foto: Privat
NIUS Chefredakteur Julian Reichelt am 26.September.2024 in Berlin,

Julian Reichelt (* 1980) ist der Journalismus in die Wiege gelegt worden: Vater und Mutter übten ebenfalls diesen Beruf aus und haben sich bei Bild kennengelernt. Ob ihr Sohn Julian sich deswegen verpflichtet fühlte, bei Bild anzuheuern, wissen wir nicht.
Doch als gesichert kann gelten, daß Julian Reichelt 2002/03 dort Volontär war, anschließend erfolgreich die Axel-Springer-Akademie abschloß, 2007 Bild-Chefreporter wurde und von Februar 2017 bis Oktober 2021 Vorsitzender der Chefredaktion und Chefredakteur Digital von Bild war. Das Cato-Interview mit ihm fand in der Kreuzberger Fabrik­etage des Portals NIUS statt. Dort übernahm Julian Reichelt 2024 die ­Chefredaktion.

Herr ­Reichelt, ich möchte mit einem Zitat beginnen: »Zur Eigenart unserer Zeit gehört die Verknüpfung bedeutender Auftritte mit unbedeutenden Darstellern. Das Ärgerliche an diesem Schauspiel ist die Verbindung von so geringer Höhe mit ungeheurer funktionaler Macht.« So ­Ernst ­Jünger in seinem Essay Der Waldgang. Wie paßt dieses Zitat von 1951 auf die aktuelle politische Lage in Deutschland?

Also der Name, der mir als Galionsfigur dieses Phänomens in unserer Zeit natürlich zuallererst einfällt, weil er sich geradezu aufdrängt, ist ­Luisa ­Neubauer, die all das, was dort beschrieben ist, in ihrer Person vereint, nämlich totale Bedeutungslosigkeit, vollkommene intellektuelle Unterkomplexität. Frau ­Neubauer ist eine junge Frau, die in ihrem Leben massiv profitiert hat von zwei großen Phänomenen, was den eigenen Wohlstand angeht, nämlich dem Totalitarismus und der Rolle des Reemtsma-Konzerns im Totalitarismus, mit Bildchen von ­Adolf ­Hitler, und dem Freisetzen von CO2 bei der Herstellung von Rauchwaren und anderen Produkten. Und unter der totalen Ausblendung dieser Phänomene hat ­Luisa ­Neubauer mit den Möglichkeiten, die der linksgrüne Zeitgeist ihr geschenkt hat, aus sich selbst ein Medienphänomen gemacht. Sie ist ein Medienphänomen der totalitären Forderung, nämlich der Forderung, wie wir alle zu leben haben, weil sie das für richtig hält. Und das Ganze hat eine erschreckende Aufwertung erfahren in einem öffentlich-rechtlichen Medien­betrieb, der sich nicht mehr dem Hinterfragen von Politik bis Ideologie verschrieben hat, sondern dem begeisterten Applaudieren und Verbreiten von Ideologie, vor allem der Klima-Ideologie.

Sie sind ein bekannter Verfechter der Meinungsfreiheit. Auch eine ­Luisa ­Neubauer darf sagen, was ihr so durch den Kopf geht.

Ja, das darf sie. Allerdings möchte dieses Wohlstandskind all den Nicht-Wohlstandskindern dieser Welt – den Kindern in Indien, den Kindern in Afrika, vielen Kindern immer noch in China, vielen Kindern in Südamerika – den Wohlstand verwehren, den ihre Familie seit Jahrzehnten genießt. Und das tut sie, indem sie diesen Kindern das Verbrennen verbietet. Und das Erzeugen von Energie, und das ist zutiefst rassistisch im eigentlichen Sinne. Das braune Kind soll nicht haben, was das weiße Kind hat. Weil das weiße Kind meint, etwas erkannt zu haben und daß sie klüger ist als das braune Kind und für das braune Kind denken kann. So gesehen ist ­Luisa ­Neubauer nicht nur die deutsche Statthalterin einer zutiefst und strukturell antisemitischen Jugendbewegung, der antisemitischsten Jugendbewegung seit der Hitlerjugend, sondern sie ist eine lupenreine Rassistin. Sie möchte den braunen Kindern Wohlstand, niedrigere Kindersterblichkeit, bessere Essensversorgung, Wärme, Heizung und so weiter verbieten, weil sie glaubt, es als Weiße besser zu wissen.

»Das Wohlstandskind Luisa Neubauer ist eine lupenreine Rassistin.«

Ehrlich gesagt, mich verblüfft, daß Sie ­Luisa ­Neubauers Rolle so hoch einschätzen. Ist sie nicht bloß die Sprechpuppe einer grünen Ideologie?

Nein. Sie hat enorme Deutungsmacht, die ihr immer wieder verliehen worden ist. Gerade zuletzt bei der Vereidigung von ­Friedrich ­Merz zum Bundeskanzler habe ich sie mit ­Angela ­Merkel zusammen auf der Tribüne des Bundestages gesehen. Diese Treffen mit den sozusagen nominellen Machthabern dieses Landes, diese Form der Macht, Aneignung und auch dankbaren Machtübertragung, das hat ihr natürlich funktionale Macht verliehen, bis hin zu der sagenhaften Möglichkeit – ich glaube, es war kurz vor der Bundestagswahl 2021 –, vor dem Berliner Reichstag eine Grünen-Parteiveranstaltung getarnt als Demonstration abhalten zu dürfen. Dort ist Bannmeile, das darf sonst niemand. Aber fürs Klima war es erlaubt. Also im direkten Umfeld der Bundestagswahl hat ­Luisa ­Neubauer die Truppen der grünen Ideologie als Mahnung vor dem Reichstag versammelt. Ich würde es allerdings eher eine Drohung nennen. Kurzum, ­Luisa ­Neubauer ist ermächtigt worden von Mechanismen, gegen die wir uns nicht mehr zur Wehr setzen können.

Wir sprechen miteinander am 8. Mai 2025. Ein bedeutsames Datum, denn auf den Tag genau vor 80 Jahren ging zumindest in Europa der Zweite Weltkrieg zu Ende. Seit der Rede von Bundespräsident ­Richard von ­Weizsäcker am 8. Mai 1985 diskutiert Deutschland darüber, ob der 8. Mai ein Tag der Kapitulation oder ein Tag der Befreiung war. Wie positionieren Sie sich in dieser Frage?

Ich bezweifle massiv, daß wir den 8. Mai als Tag der Befreiung begehen sollten. Und ich glaube, diese Zweifel sind heute wichtiger denn je. Und die Debatte über diese Lesart ist auch wichtiger denn je. Und vorab: Auf dem Papier stimmt es logischerweise nicht. In Deutschland hat niemand am 8. Mai 1945 eine Befreiungserklärung unterschrieben, sondern eine bedingungslose Kapitulation. Und man kann immer wieder nur sagen, zum Glück, denn es war militärisch und moralisch die totale Niederlage. Und ich glaube, daß diese Umtaufung des 8. Mai in »Tag der Befreiung« eine gewaltige Geschichtsklitterung und eine gewaltige Selbstreinwaschung ist. Übrigens von einem Mann, der selber für die Wehrmacht gekämpft und als Anwalt seinen Vater in Nürnberg als Kriegsverbrecher verteidigt hat. Es gab also ein gewisses Eigeninteresse, die eigene Rolle und die Rolle der Deutschen von Besiegten zu Befreiten umzudeuten.

»Gewaltige Geschichts­klitterung und Selbstreinwaschung«

­Richard von ­Weizsäcker, Jahrgang 1920, lag als junger Soldat nah vor Moskau und konnte dort die Mündungsfeuer der russischen Artillerie sehen.

Danach hätte ich eigentlich nie erwartet, daß dieser Mann eine solche Rede hält. Es gibt in dieser Generation, menschlich nachvollziehbar, ein Bedürfnis nach Umdeutung. Das ist teilweise in sehr brachialer, plumper und nationalistischer Form erfolgt. Und es ist von den Klügeren auf sehr intellektuelle Weise verfolgt worden. Es gibt logischerweise in dieser Generation ein Bedürfnis der Umdeutung, ein Bedürfnis, sich zumindest, ich will jetzt nicht sagen, auf die richtige Seite der Geschichte zu flüchten, aber immerhin auf eine weniger falsche Seite der Geschichte. Und da spielt das Wort »Befreiung« natürlich eine ganz zentrale Rolle. Ich glaube, ­Richard von ­Weizsäcker hatte einfach den Instinkt und die Fortüne und das Timing zu erkennen, daß die Breite der Gesellschaft 1985 reif und bereit war für diese Umdeutung.

Welche Folgen hat die Weizsäcker-Rede für Deutschland gehabt?

Diese Rede hat die Grundlage gelegt für die moderne Gedenk- und Erinnerungskultur unseres Landes, und die moderne Gedenk- und Erinnerungskultur unseres Landes im Kontext des Zweiten Weltkriegs bezieht sich logischerweise und recht vorrangig auf den Holocaust. Viele andere Themen auch, aber immer nachgeordnet logischerweise auf den Holocaust. Und wenn die Täter Befreite waren, waren sie nicht mehr ganz so schuldige Täter, wie sie es als Besiegte gewesen wären. Und daraus ergibt sich all das, was wir als Gedenk- und Erinnerungskultur praktizieren.

In dieser Gedenkkultur erinnern wir uns vornehmlich an die Toten.

Richtig. Wir gedenken der Ermordeten an den Orten des Mordens. Wir legen Stolpersteine vor die Wohnorte der Ermordeten. Wir kümmern uns um Tote, statt uns um die Lebenden zu kümmern. Und ich glaube, genau das ist das, was diese Rede ermöglicht hat. Wir haben uns quasi in eine Schicksalsgemeinschaft mit denen geflüchtet, die nicht befreit werden konnten, weil sie schon tot waren. Um die Toten kümmern wir uns liebevoll, statt zu erkennen, daß unsere Verpflichtung aus totaler moralischer Niederlage und historischer Schuld logischerweise immer nur neben einer Gedenkkomponente das Eintreten für die Lebenden und der Schutz der Lebenden sein kann.

Was deutlich unbequemer ist.

So ist es. Tote zu beschützen ist deutlich leichter, als Lebende zu beschützen, denn niemand will Tote angreifen, niemand will Tote ermorden, niemand will Tote abstechen, niemand will Tote vertreiben.

Was folgt daraus?

Daraus folgt: Es ist schwieriger und unbequemer, jüdisches Leben und lebende Juden in Deutschland zu beschützen. Und das wäre die zwingende Konsequenz aus dem Holocaust, wenn man sich nicht in die Befreiung geflüchtet, sondern die totale Niederlage anerkannt hätte.

Was würde geschehen, wenn wir ­Weizsäckers Rede zu den Akten legten und den 8. Mai zu einem Tag der totalen militärischen und auch moralischen Niederlage erklärten?

Eine richtige Interpretation dieser totalen Niederlage würde zwingend nur zu einem einzigen Gedanken führen: Deutschland muß neben Israel der sicherste Ort, der sicherste Staat für Juden auf dieser Welt sein. Diese sehr unbequeme Aufgabe erfordert enorme Entschlossenheit im Umgang mit dem mörderischen, eliminatorischen Antisemitismus, der breit in der Migrationsgesellschaft vorhanden ist, den es sicher auch hier und da unter Deutschen gibt, aber viel, viel mehr unter denen, die zu uns gekommen sind, den es links viel mehr gibt als rechts.

Gibt es im Bürgertum keinen Antisemitismus mehr?

Die Bürgerlichen sind oft dankbar, daß Araber und Linke die Schmutzarbeit ihrer eigenen versteckten Ansichten erledigen. Das beobachte ich auch. Finde ich auch abscheulich, ist aber aus meiner Sicht kein Massenphänomen.

Woran machen Sie den bürgerlichen Antisemitismus fest?

An den Äußerungen, die sich auf den israelischen Verteidigungskrieg gegen die Hamas beziehen. Da wird gefragt: »Muß das denn sein? Die Juden sind doch stärker!« Das sind Äußerungen, die ich auch im Bürgerlichen immer wieder wahrnehme und die das Ergebnis eines subtilen Antisemitismus sind.

Was kann man dagegen tun?

Aber mein Punkt ist: Diese Lehre aus dem Holocaust wäre eigentlich, sich wehrhaft jeder Form von Antisemitismus entgegenzustellen, im Gespräch, aber vor allem auf der Straße. Geheimdienststrukturen zu schaffen, die wie in Israel das islamistisch-antisemitische Milieu durchdringen. Und keine Politik mehr zuzulassen wie die Anti-Israel-Politik der Linkspartei. Schon das Wort »Zweistaatenlösung« ist antisemitisch. Warum? Weil wir von keinem anderen Volk auf der Welt verlangen, mit solchen Bestien Tür an Tür zu leben. Das verlangen wir ausschließlich von den Juden in Israel. Juden anders zu behandeln als andere ist antisemitisch. Wir würden von keinem anderen Volk auf der Welt verlangen, Besonnenheit walten zu lassen, wenn Hunderte Familienangehörige, unzählige Kinder von irgendwelchen Bestien in irgendwelche Tunnel verschleppt werden. Das verlangen wir ausschließlich von Juden. Das verlangen wir übrigens quer durch alle politischen Milieus. Und wir dulden, daß auf den Straßen Deutschlands die Ausrottung der Juden gefordert wird, in Berlin inzwischen nahezu täglich.

Deutschland hat bei der letzten Bundestagswahl konservativ und rechts gewählt und Schwarz-Rot bekommen. ­Friedrich ­Merz ist erst im zweiten Anlauf zum Bundeskanzler gewählt worden. Ist das ein Makel?

Ich habe großen Respekt vor Menschen, besonders vor Männern, die wieder aufstehen. ­Friedrich ­Merz hat drei Anläufe gebraucht, um Kanzler und Parteivorsitzender zu werden. Zweimal ist er niedergeschlagen worden, beim dritten Mal hat er es geschafft. Beim ersten Wahlgang ist er niedergeschlagen worden. Dann hat er sich zurückgekämpft. Also Durchhaltefähigkeit ist etwas, das ich bei jemandem, der einen Staat führen möchte, viel mehr schätze und für viel bedeutsamer halte als spinnerte Visionen und wolkige Phantasien und Erzählungen à la ­Robert ­Habeck, die irgendwo in der Zukunft spielen. Im Hier und Jetzt, in der Gegenwart in den Dreck zu fallen und geprügelt zu werden und wieder aufzustehen und weiterzumachen ist aus meiner Sicht eine durchaus staatsmännische Qualität.

Lassen Sie uns über die politischen Brandmauern reden. Ich weiß, daß Sie die Brandmauer gegen rechts nicht gut finden, habe aber den Eindruck, daß Sie die Brandmauer gegen links durchaus schätzen.

Ich glaube, daß die CDU versuchen sollte, in besonderer Regierungsverantwortung möglichst viele Menschen mit möglichst deckungsgleichen Ansichten hinter ihrem politischen Projekt zu vereinen. Und das halte ich bei Wählern der Linkspartei und damit der Linkspartei für abwegig und ausgeschlossen. Die wollen den sozialistischen Umsturz, und die CDU will die freie soziale Marktwirtschaft. So behauptet sie es zumindest. Und mit Wählern der AfD halte ich das für sehr möglich und geradezu offenkundig, weil das alles ehemalige CDU-Wähler sind, zumindest die allermeisten von ihnen. Deswegen hänge ich persönlich jetzt nicht am Formalen des Unvereinbarkeitsbeschlusses. Ich finde es durchaus richtig zu sagen: Am besten all diese Unvereinbarkeiten und Brandmauern weg. In die linke Richtung braucht man sie eh nicht, weil die Macht des Faktischen es eigentlich verhindern müßte, mit sozialistischen Umstürzlern in eine Regierung einzutreten. Das ist bei der CDU inzwischen aber leider nicht mehr gesichert. Und auf der anderen Seite sollte aus meiner Sicht das große Projekt und das wichtigste Projekt der Kanzlerschaft ­Merz die Wiedervereinigung des bürgerlichen konservativen Lagers sein.

Was heißt das genau? Wo verorten Sie das bürgerliche konservative Lager?

Wenn die FDP wieder zurückkommt, dann bei CDU, AfD und FDP. Dort ist die Mehrheit dieses Landes. Diese Mehrheit drückt sehr klar aus, welche Form von Politik sie in den entscheidenden Politikfeldern wünscht. Das ist das, was die Mehrheit in diesem Land für vernünftig hält.

»Die Brandmauer kann in der Demokratie nicht funktionieren.«

Das sieht ­Friedrich ­Merz offenkundig ganz anders und mit ihm alle, die in der CDU aktuell den Ton angeben.

Die CDU hat sich in eine historisch absolut einmalige und zum Scheitern verurteilte Lage gebracht: Sie muß, wenn diese Regierung hält, über die nächsten vier Jahre ständig erklären, warum sie Dinge nicht tut, die sie tun möchte und die sie tun könnte. Weil es Mehrheiten dafür gibt. Und das bloß aufgrund eines Phantasiekonzepts namens Brandmauer. Noch nie in der demokratischen Geschichte Deutschlands, noch nie nach dem Zweiten Weltkrieg mußte eine Regierung nahezu täglich erklären, warum sie nicht tut, was sie selber tun möchte, obwohl sie es tun könnte.

Ist dieses Konzept zum Scheitern verurteilt?

Ja. Das kann in der Demokratie nicht funktionieren. Zum Glück! Dieses Konzept wird in den Niedergang, in den Untergang jeder Partei führen, die versucht, dieses Konzept zu betreiben. Und dieses Konzept ist das erklärte Regierungskonzept der Regierung ­Merz. Und das halte ich für suizidal. Und da ich mit meiner politischen Sozialisierung durchaus eine Restsympathie und Restbindung für die CDU und zur CDU empfinde, möchte ich gar nicht, daß sie untergeht, und finde es traurig, daß sie einen Weg geht, der offenkundig dahin führen muß.

Wenn das so offensichtlich falsch ist und zweifellos vom gesunden Menschenverstand erkannt werden kann, war­um fährt die Union diesen, wie Sie sagen, suizidalen Kurs dennoch?

Das Ganze beruht auf einem Trick, den man sich in der CDU selber immer verzweifelter versucht einzureden: daß man zwischen Partei und Wählern der Partei trennen kann. Denn die Rhetorik der CDU ist ja: »Wir haben gar nichts gegen die zehn Millionen Menschen, die AfD wählen. Wir erzählen den Leuten einfach: Die Partei finden wir schlimm, aber die Wähler überhaupt nicht.« Und das ist natürlich totaler Unsinn in einer Demokratie, denn die Wirkmacht der AfD besteht hauptsächlich aus ehemaligen CDU-Wählern, denen man jetzt sagt: Euch finden wir gut, aber eure Partei, das sind Nazis.

Offenkundig beeindruckt das die AfD-Wähler nicht.

Richtig. Das ist eigentlich etwas, das die CDU inzwischen mit dem zusammenbrechenden Sozialismus vereint. Der zusammenbrechende Sozialismus ging in der Phase des Zusammenbruchs dazu über, offenkundige Lügen erzählen, und das ist immer die Phase, in der Menschen revoltieren und Widerstand leisten. Sobald Politik in die offenkundige und für jedermann erkennbare Lüge eintritt, geht sie unter. Das haben wir im Sozialismus oft erlebt. Und in dieses Stadium begibt sich die CDU gerade mit der Behauptung »Wir hassen die AfD, aber wir lieben die AfD-Wähler«.

Wie denken Sie über die AfD?

Ich sehe zwei wesensgleiche Parteien in diesem Land, besonders wenn man ihre Frühgeschichte betrachtet, und das sind die Grünen und die Blauen. Die Grünen und die Blauen sind Sammelbecken für gesellschaftliche Strömungen in ihrer Zeit, die irgendwann zu den wirkmächtigsten Strömungen ihrer Zeit geworden sind. Anarchisch, radikal, manchmal mit Leuten, die verrückte Dinge sagen. Bei den Grünen waren es pädophile Dinge, zum Beispiel bei der AfD gibt es in dieser Flügel-Ideologie durchaus Formulierungen, die an nationalsozialistisches Gedankengut hier und da erinnern mögen. Das Spielen mit den Parolen des Nationalsozialismus, das sicher auch kein Zufall ist, sondern Zielgruppenarbeit. Wir sehen zwei Sammelbewegungen: eine grüne und eine blaue. Die grüne in den Achtzigern und die Blauen seit 2013. Und dort finden sich unterschiedliche Leidenschaften, Frustrationen, Wut- und Schmerzpunkte zusammen. Und beide Parteien sind weitestgehend monothematisch. Anti-Atomkraft und dann das Klima bei den Grünen. Bei der AfD war es erst der Euro und jetzt ist es die Migration. Grüne und Blaue sind teilweise im Sound autoritär und beide Bewegungen haben Verrückte angezogen. Und Verrückte sagen verrückte Dinge. Und die Grünen haben in der Tiefe, im Zentrum, im Wesenskern der Partei, die ich bei der AfD klar nicht sehe, den Trend zur politischen Gewalt. Die Stichworte dazu sind Startbahn West, Rote Armee Fraktion, Polizisten-Erschießen, Hausbesetzung, Antifa, Straßenkampf. Das sehe ich im Kern der AfD nicht. Und die Grünen haben ja gezeigt, daß man diesen Weg von einer radikalen Bewegung zur Mainstream-Partei gehen kann, und diesen Weg will man der AfD verwehren.

Was folgt daraus?

Zehn Millionen Menschen kann man nicht mehr entgegentreten außer durch totalitäre Methoden. Und deswegen wird die AfD genau denselben Weg in die Normalisierung gehen wie die Grüne Partei. Es wird nur länger dauern und härter und entschlossener bekämpft werden. Und man muß sich immer vorstellen: Wie groß wäre die AfD eigentlich, wenn sie es nicht mit zehn Milliarden Euro Zwangsgebühren Propaganda zu tun hätte? Das sind ja keine normalen Umstände und Zustände, in denen sich die AfD bewegt.

Hilft der AfD die Sympathie von ­Elon ­Musk und J. D. Vance?

Die Amerikaner teilen nicht die linke deutsche Mainstream-Sicht, daß zuviel Freiheit für die Opposition und zuviel Meinungsfreiheit die größtmögliche Gefahr für die Demokratie darstellen. Und daß man die Demokratie am besten schützt, indem man die Opposition einschüchtert, unterdrückt, überwacht und schlußendlich dann verbietet. Das ist keine amerikanische Sicht. Die amerikanische Sicht ist nicht, daß man die Demokratie schützt, indem man mit dem Geheimdienst gegen die Opposition vorgeht und sie anschließend verbietet.

Müssen wir uns heute um den Rechtsstaat Deutschland Sorgen machen?

Der Rechtsstaat ist in Deutschland derzeit nicht mehr das, was er vor wenigen Jahren noch war. Insofern müssen wir uns allergrößte Sorgen machen. Der Rechtsstaat ist nicht nur von den NGOs bedroht, die Einschüchterung aller politisch Unreinen betreiben und auch vor Straßenkampf nicht zurückschrecken, sondern auch von außer Kontrolle geratenen, hochpolitisierten Behörden. Wir haben auch eine Situation – und das ist keine Verschwörungstheorie, sondern das ist effektiv so –, in der es im Morgengrauen bei Menschen an der Haustür klopft, weil sie Witze über die Mächtigen gemacht haben. Diese Leute werden durchsucht, es wird in die Telefone, ihre intimsten Lebensbereiche eingedrungen, beschlagnahmt. Wir sehen Staatsanwälte, die im amerikanischen Fernsehen Witze darüber machen, wie lustig es ist, Menschen als Strafmaßnahmen – und das sagen sie ausdrücklich – ihre Mobil­telefone abzunehmen. Nicht als Urteil, sondern als Strafmaßnahme der Strafverfolgungsbehörde, nicht des Richters. Das sagen die da offen und lachen dabei. Wir sehen, wie Menschen vor Gericht gezerrt werden, wie Menschen zu Gefängnisstrafen verurteilt werden für Machtkritik und Dinge, die offenkundig Witz, Satire, Meinungsfreiheit sind. Und der Versuch, die AfD jetzt einzustufen als gesichert rechtsextremistische Bestrebung, richtet sich weniger gegen die AfD und viel mehr gegen alle Menschen, die scharfe, polemische, überspitzte, harte, gehässige, gemeine und, zusammengefaßt, vollkommen legitime Kritik an der Migrationspolitik der letzten zehn Jahre äußern wollen. Und diese Migrationspolitik hat mehr Menschen das Leben gekostet als die Berliner Mauer.

»Der größte Angriff, den es jemals auf die Meinungsfreiheit gab«

Aus welchen Quellen kommen die Angriffe auf die Meinungs­freiheit?

Was wir derzeit erleben, ist der größte Angriff, den es auf die Meinungsfreiheit jemals gegeben hat. Er kommt von der Exekutive, er kommt aus den Institutionen, er kommt aus den Medien, geeint durch eine furchterregende Form des konsensualen Sozialismus und der Gleichschaltung. Der Rechtsstaat in Deutschland, der ja erst mal auf unseren Grundrechten basiert, existiert derzeit nicht so, wie er vor zehn Jahren existiert hat.

Ist der Rechtsstaat schon abgeschafft?

Er ist nicht abgeschafft, aber er ist ausgesetzt, pausiert, unterdrückt. Und die bittere Erkenntnis ist: Die klugen Mütter und Väter des Grundgesetzes waren an einem ganz entscheidenden Punkt nicht klug und weitsichtig genug.

Welcher Punkt sollte das sein?

Die Autoren des Grundgesetzes sind davon ausgegangen, daß – aus der Diktaturerfahrung – die Exekutive, die Regierung sich niemals mehr gegen die Grundrechte wenden, sondern als Schutzpatron dieser Grundrechte auftreten wird, weil das Land schon einmal erlebt hat, welche Tore zur Hölle sonst geöffnet werden. Es gibt im Grundgesetz leider keinen Mechanismus für die Situation, daß der Staat sich gegen das Grundgesetz wendet. Und wenn der Staat sich offen entscheidet, sich gegen unsere Grundrechte zu wenden, haben wir keine Möglichkeit der Abwehr, weil idiotischerweise der Abwehrmechanismus zum Abwehrrecht der Staat sein soll, der mein Abwehrrecht in diesem Moment aber gerade angreift. Wir verlassen uns auf den Staat. Aber am Ende verlassen wir uns auf ­Nancy ­Faeser, die Meinungsfreiheit zu beschützen. Und wenn ­Nancy ­Faeser sagt: »Ich mache jetzt aber das Gegenteil«, haben wir keine Möglichkeit mehr, gegen sie vorzugehen. Und das ist die Schockerfahrung, durch die wir gerade gehen und die beendet werden muß.

Wenn das zutrifft, dann möchte ich mit ­Lenin fragen: Was tun?

Wenn die Lage so ist wie von mir skizziert, dann kann sie in Deutschland nur politisch demokratisch beendet werden durch eine demokratische Revolution. So sehe ich das.

Herr Reichelt, vielen Dank für das Gespräch! ◆
Picture of INGO LANGNER,

INGO LANGNER,

geb. 1951 in Rendsburg, lebt in ­Berlin. Autor, ­Literaturkritiker und Publizist sowie lange Zeit Fernsehproduzent und Theaterregisseur; heute Chefredakteur von Cato.

No. 5 | 2025

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Kategorie: Artikel Stichworte: Artikel, Interview, Langner, Reichelt

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