Der »Great Reset« des World Economic Forum in Davos läuft auf eine falsche Therapie bei teils richtiger Diagnose hinaus. Eine Warnung vor dem Milliardärssozialismus
Wenn sie die Welt schon nicht regieren können, so wollen sie sie doch wenigstens retten. Von Davos aus, Jahr für Jahr im Januar. 2021 konnten sie nur digital konferieren, 2020 noch trafen sie sich zur 50. Präsenzveranstaltung mit 3 000 Teilnehmern aus 117 Ländern, darunter 53 Regierungschefs, dazu die Reichen und Mächtigen aus Finanz- und Wirtschaftswelt, und nicht zu vergessen zehn leibhaftige »Teenage Change-Makers«, inklusive Greta Thunberg, von der sich das illustre, gleichwohl masochistisch geneigte Publikum gern beschimpfen ließ.
Daß Teenager den »Wandel machen«, klingt ironisch, war aber vom Veranstalter, dem World Economic Forum (WEF), ernst gemeint. Da saßen 119 Milliardäre und ließen sich von einem hysterischen Mädchen belehren. Die Milliardäre, auch das hat die Nachrichtenagentur Bloomberg nachgezählt, waren zusammen mehr als 500 Milliarden Dollar schwer. Nach dem Corona-Jahr 2020, das so viele kleine und mittelständische Existenzen ruiniert hat, dürfte noch mehr auf ihren Konten liegen. Auch der Covid-19-Staat hat seine Opfer und seine Profiteure.
Natürlich pilgern sie in erster Linie ins Schweizer Davos, um in den noblen Hotels die Köpfe zusammenzustecken, Deals zu verabreden und die Anwesenheit zahlreicher Regierungsvertreter zu nutzen, um die eine oder andere Subvention einzutreiben. Davos ist eben die ideale Kontaktbörse.
Aber Geld allein macht nicht glücklich. Es braucht auch ein gutes Gewissen. Professor Klaus Schwab, der 83jährige Gründer und Chef des Weltwirtschaftsforums, sieht sich denn auch als »Visionär« mit der Mission, die »Welt zu verbessern«. Die Partner, die das Unternehmen und seinen Chef reich gemacht haben, sehen das auch so. Darunter Big-Data-Weltkonzerne wie Facebook und Google, Big Finance wie Goldman Sachs und BlackRock, außerdem die global tätigen Industriekonzerne und die in solchen Kreisen unvermeidliche Bill & Melinda Gates Foundation.
Seit Corona marschieren sie unter der Flagge des »Great Reset«, worunter ein Neustart, aber auch eine destruktive Löschoperation verstanden werden kann. Ron Paul (* 1935), ein amerikanischer Libertärer, wähnt im Great Reset ein Programm zur Ausdehnung der Regierungsmacht und zur Unterdrückung der Freiheit. Wie auch immer, die Idee hinter dem nebulösen Begriff ist, daß die Welt nach Corona nicht zur vorherigen Normalität zurückkehren dürfe, sondern daß wir künftig ganz anders leben würden und müßten. Das Ziel ist die sogenannte Klimaneutralität. In ihrem Grußwort zum digitalen WEF-Gipfel am 26. Januar 2021 hakte Angela Merkel denn auch an dieser Stelle ein und stellte die berechtigte Frage, ob wir wirklich einen Great Reset brauchen – nicht etwa hinsichtlich der Zielsetzungen (die ohnehin schon vereinbart sind), sondern hinsichtlich der »Entschlossenheit unseres Handelns«. Sie wollte sagen: Die Richtung stimmt, nur das Tempo muß erhöht werden. Man wüßte gern, wer ihr seit sechzehn Jahren soufflierend die Ideen liefert.
Corona und Klimawandel werden mit Planwirtschaft und Kulturrevolution zu einem einzigen Diskurs verrührt
Tatsächlich fand sich bereits am 11. November 2016 auf der Website des WEF ein ziemlich gruseliger Beitrag mit dem Titel »So könnte sich das Leben in meiner Stadt bis zum Jahr 2030 verändern«. Nachdem der Text bei vermeintlichen Verschwörungstheoretikern die Runde gemacht hatte, wurde er mit einem Vorspann versehen. Der Blog sei keine Utopie, heißt es inzwischen, sondern ein Szenario, das zeige, wohin die Reise gehen könnte: »Willkommen im Jahr 2030. Willkommen in meiner Stadt – oder soll ich sagen, ›unserer Stadt‹. Ich besitze nichts. Ich besitze kein Auto. Ich besitze kein Haus. Ich besitze keine Geräte oder Kleider. Das mag Ihnen seltsam vorkommen, aber es macht vollkommen Sinn für uns in dieser Stadt. Wir haben Zugang zu Transportmitteln, zu einer Unterkunft, zu Nahrungsmitteln und all den Dingen, die wir im täglichen Leben brauchen. Nach und nach wurden alle diese Dinge kostenlos, so hatte es schließlich keinen Sinn mehr, zuviel zu besitzen. Zuerst wurde die Kommunikation digitalisiert und kostenlos für jedermann. Dann, als saubere Energie kostenlos wurde, ging alles schnell.« – Eine Sprache wie aus dem Kommunistischen Manifest.
Sozialismus, der nie stirbt und sich nur häutet. Bei all seiner Einbildungskraft hätte sich ein Karl Marx die Metamorphose zum Ökosozialismus nicht vorstellen können. Seine Epigonen weichen der Machtfrage ebenso aus wie der Frage der Finanzierung. Darüber, wer die Strippen zieht, sprechen sie schon gar nicht.
Die Gönner und Finanziers des Klaus Schwab und seines Weltwirtschaftsforums jedenfalls machen keine Anstalten, auf Besitz zu verzichten. Bill Gates, der Gründer von Microsoft, ist nach jahrelangen Aufkäufen jetzt Amerikas größter Eigentümer von Farmland. CNN-Gründer Ted Turner hat zwei Millionen Acre (ca. 800 000 Hektar) Weideland akkumuliert. Auch Jeff Bezos von Amazon investiert in großem Stil in Land. Überhaupt sind die Multimilliardäre dabei, der pandemiebedingten Enge mit ihren Einschränkungen zu entfliehen. Während die superteuren Apartments in New York nicht mehr so gefragt sind, kaufen sie ganze Inseln oder ziehen sich auf ihre Yachten zurück. Google-Mitgründer Larry Page legte 45 Millionen Dollar für ein in Deutschland gebautes Expeditionsschiff auf den Tisch; es ankert derzeit in Fidschi. Oracle-Mitgründer Larry Ellison machte den Fehler, nur den größten Teil einer vor Hawaii gelegenen Insel zu erwerben, mit der Folge, daß Hotelgäste aus den USA Corona importierten. Es wird berichtet, daß sich die Nachfrage nach exklusiven Privatinseln seit Ausbruch der Pandemie vervierfacht hat. »Es gibt ein Umdenken in die Richtung«, verriet ein Makler, »daß sie einfach verschwinden und sich isolieren.« Wie schön und behaglich ist doch der private Besitz. Man kann Wasser predigen und Wein trinken.
Nicht daß sie unter Corona besonders gelitten hätten. Gerade im Finanzcasino, in dem Geld nur hin und her geschoben wird, anstatt in produktives Kapital verwandelt zu werden, ließ sich 2020 gut verdienen. Die zehn führenden Hedgefondsmanager der Welt, berichtete Reuters, wurden im vergangenen Jahr um 20 Milliarden Dollar reicher. Der Spitzenverdienst lag bei 3,8 Milliarden Dollar. Larry Finks BlackRock, mit 8,67 Billionen Dollar und Kunden in einhundert Ländern der weltgrößte Vermögensverwalter, mußte zunächst bis März 2020 einen Rückgang des Aktienkurses um 40 Prozent einstecken, bis dann bekannt wurde, daß die amerikanische Notenbank BlackRock – selbstverständlich gegen Honorar – damit beauftragt hatte, die Programme zur Stabilisierung der Kreditmärkte durchzuführen. Wie praktisch, nicht nur zu wissen, an wen die Milliarden fließen, sondern auch darüber mit entscheiden zu können, wo BlackRock doch selbst Anteile an den Firmen hält. Ein Insidergeschäft ersten Ranges unter Beteiligung von Federal Reserve, Regierung und Hochfinanz. Das beleuchtet die Machtverhältnisse blitzartig. Wenn jeder an sich selbst denkt, ist an alle gedacht – denken sie sich. Die Bundesregierung, die kleinere Brötchen bäckt, kam auf die vergleichsweise harmlose Idee, zwei Millionen Euro für eine Videokampagne auszugeben, um unsere »besonderen Helden« zu feiern. Gemeint waren die Corona-Helden. Die Spots sollten zeigen, wie normale Menschen zu Helden wurden, indem sie nichts anderes taten, als zu Hause zu bleiben.
Klaus Schwab weiß natürlich, daß er seiner Klientel nicht zuviel zumuten darf – schon gar nicht einen klassischen marxistischen Sozialismus mit seiner Expropriation der Expropriateure. Wenn Besitz und individuelle Freiheiten schon eingeschränkt werden sollen, dann nur die der anderen. Schwab hatte in den siebziger Jahren ganz einfach eine clevere Geschäftsidee, nämlich die, Leuten mit Einfluß Gelegenheit zu geben, sich zu treffen. Daraus hat sich ein millionenschweres Unternehmen entwickelt. Wenn er sagt, daß sein Forum Geschichte »formt«, dann ist das freilich nicht ganz richtig. Er rezipiert, verstärkt und propagiert vielmehr den Konsens einer globalen Elite. Die muß sich in Davos wohlfühlen, sonst würde sie nicht wiederkommen. Im vergangenen Juni hat Schwab zusammen mit dem Franzosen Thierry Malleret ein Buch mit dem Titel Covid-19. Der Große Umbruch (Genf [WEF] 2020) fertiggestellt. Das Fazit steht gleich am Anfang: »Eine neue Welt wird entstehen, deren Umrisse wir ersinnen und skizzieren müssen.«
Der Kunstgriff, dessen sie sich bedienen, ist leicht zu durchschauen. Sie nehmen zwei objektiv voneinander unabhängige Metadiskurse – über den menschengemachten Klimawandel und über Corona, wobei der Klimadiskurs schon vorher zum Dogma versteinert war –, verrühren sie zu einem einzigen Diskurs, konzipieren die dazu passende Planwirtschaft und Kulturrevolution und empfehlen für beide denselben Modus operandi. Niemand hat es schöner auf den Punkt gebracht als der berüchtigte TV-Dauertalker Karl Lauterbach. Er beklagte, daß es gegen CO₂ niemals eine Impfung geben werde. »Somit benötigen wir Maßnahmen zur Bewältigung des Klimawandels, die analog zu den Einschränkungen der persönlichen Freiheit in der Pandemie-Bekämpfung sind.« Wir könnten in der Klimakrise, meinte er, in eine Situation kommen, wo wir tatsächlich das eine oder andere verbieten müßten – ein Exzeß der Machtanmaßung, die an den Satz denken läßt, wonach in einer funktionierenden Demokratie die Regierenden Angst vor den Regierten haben sollten und nicht umgekehrt.
Im Grunde hat sich mit dem Scheitern des Projekts »Chimerica« der Globalismus bereits erledigt
Schwabs Buch ist in seinen analytischen und deskriptiven Passagen durchaus lesenswert. So, wenn er befürchtet, daß die technologischen Innovationen Millionen von Arbeitsplätzen vernichten könnten, oder wenn er prognostiziert, daß der Arbeitsmarkt zwischen hoch- und schlechtbezahlten Positionen polarisiert werden wird, oder wenn er Stärken und Schwächen der führenden Volkswirtschaften miteinander vergleicht. Seine Betrachtungen zur amerikanisch-chinesischen Rivalität sind ausgewogen. Schließlich hatte die Globalisierung der vergangenen Jahrzehnte ein Arrangement beider Großmächte zur Grundlage: Die USA öffneten ihren Markt für chinesische Massenware, was die Inflation dämpfte und den Rückgang amerikanischer Reallöhne zum Teil kompensierte, dies allerdings um den Preis des Verlustes von gutbezahlten Jobs in der amerikanischen Industrie. Denn das amerikanische Big Business konnte jetzt billig in China herstellen lassen und die Produkte mit saftigen Gewinnmargen in den USA absetzen. China wiederum würde seine Handelsüberschüsse in Dollarpapiere investieren und damit die steigenden amerikanischen Schulden finanzieren, alles verbunden mit der (mittlerweile enttäuschten) Hoffnung, daß mit der wirtschaftlichen Verflechtung sich das Reich der Mitte auch politisch liberalisieren werde. Seitdem Peking die amerikanische Hegemonie herausfordert und das Südchinesische Meer als Mare Nostrum betrachtet und obendrein die USA in der Entwicklung der auch militärisch entscheidenden künstlichen Intelligenz nahezu eingeholt hat, muß das Projekt einer amerikanisch-chinesischen Symbiose (»Chimerica«) als gescheitert gelten.
Ein Dilemma für die Globalisten von Davos. Sie hätten die Chinesen gern auch künftig an Bord. Sie sind schwer beeindruckt, wie gut die chinesische Wirtschaft im Corona-Jahr abgeschnitten hat, und die chinesische Variante eines autoritären, dirigistischen Kapitalismus imponiert ihnen insgeheim. An einer interessanten Stelle seines Buches befaßt sich Schwab mit dem »Globalisierungstrilemma«. Demnach sind Globalisierung, politische Demokratie und Nationalstaat nicht miteinander vereinbar – man kann gleichzeitig nur zwei von diesen drei Optionen wählen. Wofür er sich entscheiden würde, sagt der Autor nicht explizit, aber an seinem Feindbild läßt er keinen Zweifel. Das sind die Nationalisten und Populisten. Demokratie ohne Nationalstaat kann man sich allerdings nur als leere Hülle vorstellen. Da ist die Option, die die chinesische Führung gewählt hat, ehrlicher.
Logisch schwach ist Schwab dort, wo er Corona als Begründung für eine Klima-Planwirtschaft heranzieht, ohne zu erklären, was das eine mit dem anderen zu tun hat. Er begnügt sich mit der Empfehlung, den durch die Pandemie ausgelösten Schock dazu zu nutzen, grundlegende und weitreichende Änderungen der Umweltpolitik zu implementieren. Damit würden die Entscheidungsträger einen »guten Gebrauch« von der Pandemie machen und die Krise wäre nicht vergeudet. Dumpfer und magischer, aber nicht untypisch für grünes Denken sieht es eine Veronica Ferres: »Für mich ist die Corona-Pandemie die Rache der Tiere und der Natur an den Menschen.«
Letzten Endes bleibt die Frage, ob wir in einer Welt leben wollen, wie sie Schwab in seinem Buch anschaulich beschreibt: mit Online-Filmen, anstatt ins Kino zu gehen, mit ins Haus gelieferten Mahlzeiten, anstatt Restaurants zu besuchen, mit Kollegen auf dem Monitor zu sprechen, anstatt an der Kaffeemaschine zu plaudern. »Social Distancing«, behauptet der Professor, werde auch nach der Pandemie bleiben. Eine »WhatsApp-Familie«, belehrt uns der Visionär, mache zwar nicht so viel Spaß, aber sie sei sicherer, billiger und – Achtung! – »grüner«. Eine schöne neue Welt, in der das Digitale mehr ist als ein Medium, mehr als Mittel zum Zweck. Das neue Bewußtsein wird zum Förderprogramm für die Branche der Psychiater. Schwab hat vergessen, Eric Schmidt von Google, auch ein WEF-Partner, zu zitieren: »Wir wissen, wo du bist. Wir wissen, wo du warst. Wir können mehr oder weniger wissen, was du gerade denkst.«
Chinesischer Dirigismus: Von einer sozialen, weil freien Marktwirtschaft will die EU nichts mehr wissen
Zu den großen Opfern des Great Reset wird die deutsche Automobilindustrie zählen, das Herz der deutschen Volkswirtschaft, eine exportorientierte Branche mit ihren gutbezahlten Arbeitnehmern. Wie bei Corona kommen Grenzwerte als Folterinstrumente zum Einsatz. Schon seit 2018 schrumpft der Automobilsektor und damit die gesamte deutsche Industrie. Zuerst waren es willkürliche, scharfe Grenzwerte für Stickoxid, die den Diesel in Verruf brachten. Nachdem die Hersteller die schwierige technische Umrüstung geschafft hatten, setzte die EU-Kommission im Herbst 2018 mit einer CO₂-Verordnung nach. Danach soll der Ausstoß des angeblich giftigen Gases statt auf früher 130 Gramm pro Kilometer bis 2030 auf unter 59 Gramm gesenkt werden. Damit dürfte ein Pkw, bezogen auf Dieselkraftstoff, nur noch 2,2 Liter auf 100 Kilometer verbrauchen. Weil das nicht erreichbar ist, gilt der Grenzwert für den Durchschnitt der Flotte. Die Hersteller sollen so gezwungen werden, die Produktion von Elektroautos auf zwei Drittel ihrer Flotte hochzufahren. Nur so wäre der Grenzwert einzuhalten.
Die EU unterstellt dabei, daß Elektroautos klimaneutral seien. In Wirklichkeit wird der CO₂-Ausstoß nur verlagert: auf die Batterieproduktion und auf die Stromerzeugung, bei der in zahlreichen Ländern Kohle zum Einsatz kommt. Neuerdings plant die EU mit der Euro-7-Abgasnorm Grenzwerte, die so niedrig sind, daß sie nach Auskunft des Marktführers Bosch mit der heutigen Technik nicht einmal gemessen werden können. Die Absicht ist offenkundig: Der Verbrennungsmotor soll verschwinden – was allein bei Bosch 83 000 Arbeitsplätze im Bereich Antriebsstrang kosten wird.
Die EU kopiert den chinesischen Dirigismus, allerdings mit einem Unterschied: Obwohl Peking im nächsten Fünfjahresplan den Unternehmen vorgibt, wie und wo sie investieren sollen, fehlt darin doch jeglicher Ansatz zur Selbstbeschädigung. EU und Bundesregierung, sagt der Wirtschaftswissenschaftler Hans-Werner Sinn, legen die Axt an die deutsche Automobilindustrie, ohne auch nur kleinste positive Effekte für das Klima erreichen zu können. Die zuletzt fast 30 Milliarden Euro pro Jahr, die die deutsche Energiewende kostet, nennt Sinn »eine irrsinnige Summe für nichts und wieder nichts«. Wie sich doch die Methoden der Klima- und Corona-Politik ähneln: Hier wie dort wird Angst geschürt und bewirtschaftet, werden regierungsnahe und regierungsfinanzierte Experten der Öffentlichkeit vorgezeigt, wird die Evidenzbasis der Wissenschaft durch eine Meinungsbasis ersetzt, werden abweichende Stellungnahmen von der Debatte ausgeschlossen und bei Bedarf kriminalisiert, tritt Planung an die Stelle von Marktmechanismen, wird Geld verbrannt und Wohlstand zerstört, spendet der gleichgeschaltete Großteil der Medien Beifall und folgt dem Paradigma der Alternativlosigkeit.
Nach Maos »Großem Sprung nach vorn« nun also im Westen das Großexperiment des »Neustarts«. Damals waren die Folgen, wie der Hungertod von mindestens 45 Millionen Chinesen, grauenerregend, heute werden sie – noch – verdrängt. Daß es an realistischen Einschätzungen der Kosten der Energiewende und deren Nutzen für das Klima fehle, monierte der dänische Wissenschaftler Björn Lomborg in der Welt vom 26. Februar 2021 – was sich daraus erklärt, daß der ökologische Absolutismus als Religionsersatz fungiert und sich deshalb die Kostenfrage nicht stellt. Tatsächlich hat bisher allein die neuseeländische Regierung ein wirtschaftswissenschaftliches Institut damit beauftragt, die Kosten einer Kohlenstoffneutralität bis 2050 zu schätzen. Demnach lägen diese im Jahr 2050 höher als der gesamte neuseeländische Staatshaushalt des vergangenen Jahres. Für Deutschland zitiert Lomborg eine Berechnung, nach der bis 2030 jedes Jahr 4,3 Prozent des Bruttoinlandsprodukts bzw. 161 Milliarden Euro aufgrund des geringeren Wachstums verlorengehen werden – selbst wenn CO₂ bis 2050 nur um 80 Prozent und nicht um 100 Prozent reduziert wird. Das wäre Jahr für Jahr mehr Geld, als derzeit für Bildung in Deutschland von der Kita bis zur Uni aufgewendet wird. Und eine vierköpfige deutsche Familie würde um 8 100 Euro pro Jahr ärmer.
Auch Lomborg, übrigens kein »Klimaleugner«, weiß selbstverständlich, daß solche Zahlen nie genau sein können. Sie verdeutlichen aber, daß Klimaneutralität unerreichbar und unbezahlbar ist. Nach zwanzig Jahren Erneuerbare-Energien-Gesetz mit ständig steigenden Kosten ist der Anteil des Erdgases am Primärenergieverbrauch hierzulande von 15 auf 25 Prozent gestiegen und der der »Erneuerbaren« auf gerade einmal 15 Prozent – einschließlich der schon vorher genutzten und relativ unstrittigen Wasserkraft. Auf 80 oder gar 100 Prozent »Erneuerbarer« zu gehen würde die Kosten explodieren lassen. Lateinamerika, Asien und Afrika werden ihren wirtschaftlichen Aufstieg ohnehin nicht der Fata Morgana einer kohlenstoffreien Ökonomie opfern. Allein China baut 250 neue Kohle- und 33 neue Kernkraftwerke. Ob der deutsche Anteil an den weltweiten CO₂-Emissionen – er beträgt 2,3 Prozent – bleibt oder wegfällt, ist unerheblich.
Auch für das vermeintlich reiche Deutschland gilt: Geld, das an einer Stelle ausgegeben wird, fehlt an einer anderen. Immer stellt sich die Frage nach den Prioritäten. Angefangen mit der unschönen und ungesunden großstädtischen Architektur mit ihren versiegelten Glaskästen bis hin zur demographischen Katastrophe und der Verödung ganzer Landstriche in den östlichen Bundesländern ließe sich eine lange Liste von Fehlentwicklungen aufstellen, die der Korrektur bedürfen. In der Neuen Zürcher Zeitung vom 22. Dezember 2020 monierte Susanne Gaschke die Verwahrlosung von Parks und Grünanlagen in Deutschland, die maroden Schultoiletten, die schlechten Gehälter und unglaublichen Arbeitsbedingungen in Krankenhäusern und Pflegeheimen, die vollgestopften Pendlerzüge und eine Bahn, an der außer den Vorstandsgehältern nichts privatwirtschaftlich wirke. »Schulen sollten Paläste der Bildung sein«, schrieb sie, »wie Bahn- und Postgebäude dem Deutschen Reich damals Kathedralen des Fortschritts und der Einheit waren.«
Otto Braun, von 1920 bis 1932 mit Unterbrechungen sozialdemokratischer Ministerpräsident Preußens, sagte einmal, daß die Verwaltung des Kaiserreichs die beste gewesen sei, die die Welt je gesehen habe. Ja, der schlanke und zugleich starke Staat ist der effiziente, nicht der fette. Das System, das sich 2020 in Zeichen von Neofeudalismus und Monopolwirtschaft mittels Instrumentalisierung der Krise radikalisierte, ist nicht zukunftsfähig. Es ist, um ein Modewort zu gebrauchen, nicht nachhaltig. Es ist in hohem Grade künstlich. Es existiert die Alternative einer Systemänderung mit dem längst überfälligen Abbau von Überregulierung, Überbesteuerung und Überschuldung. Mit einer Rückkehr zur Marktwirtschaft, die allein deswegen sozial ist, weil sie den selbständigen an die Stelle des betreuten Menschen setzt, weil sie Wohlstand schafft, indem sie der Freiheit ihren Raum läßt. Die Konstruktivisten des Great Reset werden schon allein deshalb scheitern, weil sie die menschliche Natur nicht auf der Rechnung haben. ◆
Bruno Bandulet
geb. 1942 in Bad Kissingen, war Chef vom Dienst der Tageszeitung Die Welt, Autor von Zeitbühne, Epoche und TransAtlantik sowie bis 2013 Herausgeber des Finanzdienstes Gold & Money Intelligence. 2018 erschien bei Kopp (Rottenburg) Dexit. Warum der Ausstieg Deutschlands aus dem Euro zwar schwierig, aber dennoch machbar und notwendig ist.