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Editorial Heft 6 | 2025

2. Oktober 2025 von INGO LANGNER

Ausgabe No. 6 | 2025:    Für ein Europa der Vaterländer

Politischer Hader, der die Welt in zwei Parteien spaltet, war schon dem kleinen ­Johann ­Wolfgang in Frankfurt ein Graus. Seine vom Vater ererbte Verehrung für Preußens König ­Friedrich II. scheint der erwachsene ­Goethe auf den Franzosenkaiser ­Napoleon ­Bonaparte übertragen zu haben. Anders als den knapp dreißig Jahre jüngeren ­Heinrich von ­Kleist hat den in Weimar zum Staatsminister Avancierten die preußische Niederlage in Jena und Auerstedt anno 1806 nicht um den Schlaf gebracht. Kleist hingegen, bis ins Mark in seinem patriotischen Stolz getroffen, griff zur Feder und schrieb Die Hermannsschlacht, die man mit Fug und Recht als Aufruf zur nationalen Erhebung gegen ­Napoleon lesen darf. ­Kleist, angetreten, um ­Goethe den Lorbeer von der Stirn zu reißen, nutzte die Schluß­szene, um polemisch gegen ihn auszuteilen. Die Literaturwissenschaftlerin ­Katharina ­Mommsen beschreibt die Causa so: »Das Drama endet damit, daß ­Hermann über den Fürsten ­Aristan das Todesurteil spricht: Enthauptung. Hier kommt es zu folgendem Dialog: der als Typus des schlechten Patrioten gekennzeichnete ­Aristan beruft sich auf sein Recht, mit jedem in ein Bündnis zu treten, auch mit den Römern. Er sei Herr eines freien Staats, was gelte ihm Germanien? Darauf antwortet ­Hermann: ›Ich weiß, ­Aristan. Diese Denkart kenn ich. / Du bist imstand und treibst mich in die Enge, / Fragst, wo und wann Germanien gewesen?‹« Mit diesem Wortwechsel erinnert ­Kleist unmißverständlich an das Gedicht »Das Deutsche Reich«, veröffentlicht in den 1797 von ­Schiller und ­Goethe gemeinsam publizierten Xenien. Dort heißt es: »Deutschland? Aber wo liegt es? Ich weiß das Land nicht zu finden, / Wo das gelehrte beginnt, hört das politische auf.« ­Schiller starb 1805. ­Kleist attackiert in der Hermannsschlacht mithin scharf den noch lebenden ­Goethe, der preußischen Patriotismus als »Vaterländerei« abtat. Der »Dichterfürst« war am 2. Oktober 1808 von Kaiser ­Napoleon in Erfurt empfangen, mit den berühmt gewordenen Worten »Voilà un homme« begrüßt und mit dem Orden der Ehrenlegion ausgezeichnet worden. Fünf Jahre nach dem illustren Zusammentreffen von Macht und Geist wurde ­Bonaparte in der Völkerschlacht bei Leipzig vernichtend geschlagen, und aus just dieser Schlacht kommende österreichische Offiziere nahmen in Weimar im Haus am Frauenplan Quartier. Aus Protest gegen die »Okkupation« erschien der Hausherr beim Dinner mit dem Orden der Ehrenlegion. Worauf die Offiziere mit wortreicher Empörung reagierten. So in Verlegenheit gebracht, trug ­Goethe am nächsten Abend den ihm von Zar ­Alexander verliehenen Orden der Heiligen ­Anna. ­Goethes Traum von einem französisch dominierten unipolaren Westeuropa mit deutscher Kulturhegemonie zerrann endgültig am 18. Juni 1815 in Waterloo. Gut einhundert Jahre und drei versunkene Kaiserreiche später degenerierte ein gesunder Patriotismus à la ­Kleist zum Moloch Nationalismus. Heute hat unser Kontinent nur als geeintes Europa der Vaterländer eine Zukunft.

Ihr Ingo Langner

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Kategorie: Artikel Stichworte: Editorial

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