Ausgabe No. 3| 2022: Krieg und Frieden
»Liebet Eure Feinde«
Alle Cato-Autoren sind Selbstdenker und auf keinem Auge blind. Darum wird man auch in dieser Ausgabe differenzierte Analysen der weltpolitischen Lage finden. Im Krieg zwischen Rußland und der Ukraine positionieren sich David Engels in seinem Brief aus Warschau und Karl-Peter Schwarz in seiner Chronik Schwarz auf Weiß pro Kiew und contra Moskau. Thomas Fasbender hat in Kasan, der Hauptstadt Tatarstans, mit putinkritischen Patrioten gesprochen. Karlheinz Weißmann reflektiert über Macht und Moral und betrachtet den aktuellen Krieg aus einer historischen Perspektive. Er erinnert uns: »politisches Handeln wie politisches Nichthandeln hat immer mit dem zu tun, was die Bibel ›Schuld‹ nennt. ›Unschuldig ist … nur‹, heißt es bei Hegel, ›das Nichttun wie das Sein eines Steines, nicht einmal eines Kindes.‹«
Auch weil diese Cato-Ausgabe in der Karwoche erscheint, möchte ich an dieser Stelle vom Leiden des albanischen katholischen Priesters Ernest Simoni Zeugnis ablegen. Simoni wurde am Heiligabend 1963 von Enver Hodschas kommunistischen Schergen direkt nach der Weihnachtsmesse noch am Altar verhaftet und später gleich zweimal zum Tode verurteilt, dann allerdings jedesmal begnadigt – jedoch nur, um an dem 35jährigen ein Exempel zu statuieren. Simoni war achtzehn Jahre lang Zwangsarbeiter in Steinbrüchen und Bergwerken. Er hat dort täglich die heilige Messe gefeiert und als Seelsorger seinen Mitgefangenen das Evangelium verkündet. Seine Feinde wußten, daß sie ihn noch nicht gebrochen hatten, und befreiten ihn von seiner Fron nur, weil sie hofften, den zum Skelett Abgemagerten in einer Kloake endgültig zugrunde richten zu können. Erst 1990, nach dem Sturz des totalitären Regimes, war Ernest Simoni wieder ein freier Mann.
Als ich den 2016 zum Kardinal Kreierten zwei Jahre später bei einem Mittagessen in der österreichischen Zisterzienserabtei Stift Heiligenkreuz kennenlernen durfte, war es für mich unbegreiflich, warum mir kein vom Leben schwer gezeichneter Mann gegenübersaß. Des Rätsels Lösung war ebenso einfach wie existentiell. Der Kardinal klärte mich lächelnd so auf: »In seiner Bergpredigt sagt uns Jesus: ›Liebet eure Feinde und betet für alle, die euch verfolgen.‹ Das ist mir, dem Himmel sei es gedankt, in all den Jahren meiner Haft und Verfolgung gelungen. Wäre ich gescheitert, hätte ich meine Feinde gehaßt, dann hätte mich dieser Haß innerlich zerfressen und schließlich zerstört. Die christliche Feindesliebe ist kein Gebot, das uns zur Selbstaufgabe auffordert. Ganz im Gegenteil, sie ist ein Lebenselixier.« Während in Europa ausnahmslos alle Parteien den Krieg in der Ukraine zum weltanschaulichen Kreuzzug erklärt haben, kann es kein Zufall sein, daß mir die Lehrstunde von Ernest Kardinal Simoni nicht mehr aus dem Kopf geht.
Ihr Ingo Langner
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HEFTVORSCHAU CATO No. 3|2022
Inhaltsverzeichnis
INHALTSVERZEICHNIS ÖFFNEN »
Am 4. August 1914
von Günter Maschke
Der Erste Weltkrieg wird oft als Ur-Katastrophe des 20. Jahrhunderts bezeichnet – die »Ur-Katastrophe« waren aber eher seine Folgen und die aus ihm gezogenen Folgerungen: die Diskriminisierung des Krieges, die den Unterlegenen zum Verbrecher machte, so daß der Frieden unauffindbar wurde.
Putinkritische Patrioten
von Thomas Fasbender
Wie immer der Krieg ausgeht, Rußland wird sich geschwächt und nach Westen hin isoliert wiederfinden. Die dreihundert Jahre »Pivot to Europe«, eingeleitet durch den großen Zaren Peter, sind vorüber. Zu den Leidtragenden zählt Deutschland – politisch, wirtschaftlich und kulturell.
Das nackte Leben und der universale Staat
von Simon Kießling
Wenn das universale System der Weltregierung die nationalstaatlichen, rechtswahrenden Ordnungen ersetzt, sind wir alle Homo sacer, muß man uns nicht mehr erst durch aufwendige Prozeduren entnationalisieren, politischer Qualitäten entkleiden und staatsbürgerlicher Zugehörigkeitsrechte berauben.
Macht und Moral
von Karlheinz Weißmann
Der Krieg ist der Vater aller Dinge, hieß es bei den alten Griechen. Offenbar gilt das nach wie vor. Denn seit dem Angriff Rußlands auf die Ukraine tut sich in Westeuropa Erstaunliches. Einige EU-Politiker beteuern, Europa müsse wieder lernen, die »Sprache der Macht« zu sprechen.
Wurzeln der Eugenik
von Paul Cullen
Der eugenische Impuls setzt voraus, daß es so etwas wie menschliche „Güteklassen“ gibt und Menschen, die berechtigt wären, ein Urteil darüber zu fällen, wer in welche Gruppe gehört. Die Diskriminierung seitens der eugenischen Bewegung lebt in Programmen zur Geburtenkontrolle fort.
Das woke Psychodrama des Westens
von Julian Schneider
Permanente Kulturkämpfe von links zermürben die westlichen Länder, sie durchlöchern die traditionellen kulturellen und sozialen Grundlagen, wollen historische Identitäten brechen. Die »woke« Ideologie entwickelt sich zu einer strukturellen Gefahr. Die Aufklärung begräbt sich selbst.
Weltraumforschung und Himmelfahrt
von Bruno Binggeli
Die gesamte Weltraumforschung gleicht eher einem Eroberungsfeldzug als einer Pilgerreise. Doch »die Flucht, die wir aus unserem Planeten heraus antreten, darf nicht raumfahrttechnisch und von außen her erfolgen, sondern geistig und von innen heraus« (Pierre Teilhard de Chardin).
Papst emeritus
von Ingo Langner
Selbst noch neun Jahre nach seinem Rücktritt stürzen sich Ratzingers Feinde auf den Uralten. Doch möglicherweise gehört auch das zu den bitteren Früchten, die aus dem Amtsverzicht resultieren. Manche meinen, auf eine so fatale Idee konnte nur ein deutscher Theologieprofessor kommen.
INGO LANGNER
Chefredakteur
Geboren 1951 in Rendsburg, hat Ingo Langner in den vergangenen 40 Jahren als Theaterregisseur, Filmemacher, Fernsehproduzent, Moderator, Autor, Publizist und Kurator gearbeitet. In seinem Portfolio stehen siebzehn Theaterinszenierungen, zweiundzwanzig Fernsehdokumentationen, zwei von Deutsche Welle-TV weltweit ausgestrahlte Literatursendereihen, sechs Sachbücher, zwei Kriminalromane und eine Tragikomödie, sowie mehr als einhundert Fernsehinterviews mit Schriftstellern, Regisseuren, Schauspielern, Malern, Bischöfen, Kardinälen und Politikern.