Bild aus Rhöndorf von Haagen Schnauss
Editorial von Andreas Lombard
Christus war nicht konservativ, Christus war initium. Er war der Anfang, unser Anfang. Er war der Beweis, daß Gott »alles neu« macht, wie es in der Offenbarung heißt. In der Geburt eines jeden Menschen manifestiert sich Gottes Macht, das Neue zu schaffen. Daß Christus nicht nur neu war, sondern auch stets das Neue ist, verstörend revolutionär, das steht in Dostojewskis Erzählung vom Großinquisitor und bleibt bis heute eine Zumutung. Die eine Seite unseres Zeitgeistes sagt deshalb: »Wenn Christus wiederkäme, müßte man ihn verjagen.« Die andere sagt: »Wenn Hitler nicht wiederkäme, müßte man ihn herbeiholen.« Wie anders könnten wir beweisen, daß er immer noch gefährlich ist? Anscheinend können wir nicht mehr mit Christus und nicht mehr ohne Hitler leben, am wenigsten diejenigen, die ihn täglich bekämpfen. Christus »ist tot«, weil er nicht leben darf, und Hitler »lebt«, weil er nicht sterben darf. Es ist Zeit, Hitler zu beerdigen.
Auch wir sind »neu«, auch wir wurden geboren. Um so ungemütlicher ist der Gedanke, daß wir vergänglich sind. Gegen diese Beunruhigung hilft die »Philosophie der Verbundenheit«. So definiert Sir Roger Scruton den Konservatismus: als das Wissen, daß wir uns anderen verdanken – und andere sich uns. Mit dieser Spannung von alt und neu ist das weite Feld umrissen, in dem sich der Konservatismus bewegt, dessen politischer Begriff jetzt zweihundert Jahre alt wird. Im Oktober 1818 hat François-René de Chateaubriand sein Magazin Le Conservateur gegründet.
Von dem 1998 leider allzu früh verstorbenen Sozialphilosophen Panajotis Kondylis stammt die Gegenthese zur Geburt des Konservatismus vor zweihundert Jahren. Für Kondylis war er zu jener Zeit bereits erledigt, weil der Konservatismus aus seiner Sicht untrennbar mit dem Ancien Régime verbunden war: »Der Konservatismus als konkrete geschichtliche Erscheinung, die von einer fest umrissenen Ideologie begleitet wurde, ist längst tot und begraben.« Dieser Nachruf kam zu früh, denn der Konservatismus ist quicklebendig; er ist eine anthropologische Konstante.
Jeder ist auf seine Weise konservativ. Deshalb führt die formale Bestimmung des Konservatismus zur Beliebigkeit. Bald werden sich sogar die Verteidiger der Schwulenehe, der Leihmutterschaft und der Sterbehilfe als konservativ bezeichnen. Unser »konservativer« Gesundheitsminister beispielsweise will uns zu wandelnden Ersatzteillagern machen. Wo bis hin zur Integrität unseres Körpers alles dekonstruiert wird, verteidigt der Konservatismus die unverzichtbaren Konstanten wie Familie, Nation, Religion und Privateigentum. Sich auf das zu beziehen, »was immer gilt«, entfaltet unter den Bedingungen radikaler Veränderung wie von selbst seine revolutionäre Kraft. Es gibt keinen belastbaren Konservatismus ohne diesen Sinn für den Neuanfang.
Wo die Gleichheitsidee zerstört, wird die Verteidigung der Ungleichheit zum schöpferischen Prinzip. Ein Beweis für die Produktivität der Ungleichheit ist neben der Familie die Hierarchie. Eine hierarchische Gesellschaft kann es sich leisten, liberal zu sein. Die egalitäre Gesellschaft dagegen braucht die Diktatur. Vor einhundert Jahren endete mit der Flucht Kaiser Wilhelms II. ins holländische Exil die Monarchie. Seit einhundert Jahren machen wir nun schon auf Geheiß des Königs von Sachsen unsern Dreck alleene. So soll es auch bleiben, sagen die Sachsen von heute –
und sagt Ihr