Fotos: Andreas Lombard (l.), imago stock&people
Jörg Schönbohm (2. 9. 1937–7. 2. 2019) im Garten seines Hauses in Kleinmachnow direkt am ehemaligen Mauerstreifen (2009)
Arnulf Baring (8. 5. 1932–2. 3. 2019), einer der wenigen wirklich streitlustigen Köpfe der Republik, aufgenommen 1997
Jörg Schönbohm und Arnulf Baring zum Gedenken
Eines Mittags Anfang März 2008 klingelte mein Telefon. Jörg Schönbohm war am Apparat und sagte in seiner militärisch knappen Art: »Ich habe da einen Brief von Ihnen bekommen, in dem Sie vorschlagen, daß ich meine Erinnerungen bei Ihnen veröffentliche. Da Sie sich auf Baring beziehen, habe ich ihn natürlich angerufen und gefragt, was er davon hält. Er meinte: ›Das kannste machen.‹ Jetzt müssen wir uns mal treffen.« Schönbohm war Innenminister des Landes Brandenburg und blickte auf eine beachtliche Karriere bei der Bundeswehr, bei der Nato und im Verteidigungsministerium zurück, wo er beamteter Staatssekretär unter den Ministern Stoltenberg und Rühe gewesen war, bevor er 1996 Berliner Innensenator wurde. In der »Stadt der Wehrdienstverweigerer« (Schönbohm) eilte ihm ein eindeutiger Ruf voraus, und bei seiner Vereidigung setzten die Grünen aus Protest geschlossen Stahlhelme auf. Im Gegenzug knöpfte sich Schönbohm später die Wagenburgen und besetzten Häuser vor.
Baring hatte als Beirat des Landt Verlags die Idee, den Politiker, der bis 2006 auch Mitglied des CDU-Bundespräsidiums gewesen war, zur Publikation seiner Memoiren einzuladen. Baring und Schönbohm kannten sich seit den frühen neunziger Jahren. Jeder von ihnen übte sich auf seine Weise in der von Baring vielgepriesenen Unbefangenheit. Schönbohm ließ sich tatsächlich auf den ihm unbekannten Kleinverleger ein. Wir trafen uns in einem italienischen Restaurant in Potsdam, wo wir uns rasch einig wurden. Danach sorgte es gelegentlich für Aufsehen, wenn Schönbohm mit seinem schwarzen Konvoi auf dem Gewerbehof an der Kreuzberger Wilhelmstraße zur Besprechung in den Verlagsräumen vorfuhr. Er war denkbar unprätentiös, und die Zusammenarbeit verlief völlig reibungslos. Im Dezember 2009 stellten wir das Buch Wilde Schwermut in der Vertretung des Landes Brandenburg beim Bund vor. Der Titel war Ernst Jüngers Marmorklippen entlehnt: »Ihr alle kennt die wilde Schwermut, die uns bei der Erinnerung an Zeiten des Glückes ergreift.« Karl Feldmeyer moderierte. Wolfgang Schäuble hielt vor 160 Gästen eine launige Laudatio und bemühte sich als politischer Routinier, den potentiellen »Sprengstoff« (Feldmeyer) des Buches zu entschärfen. Baring war verreist.
Auf dem festen Boden von Grundgesetz, Westbindung und Nato-Mitgliedschaft bürstete Schönbohm die Geschichte der Bundesrepublik gegen den Strich des grün-linken Zeitgeistes. Seinen Alltag regelten Pflichtgefühl, Gesetzestreue, Schlagfertigkeit, Unbestechlichkeit und die Loyalität zur Familie. Barings politisches Fundament war dasselbe. Beide verfügten über hochrangige Kontakte in die USA. Beide waren alt genug, noch das Kriegsende miterlebt zu haben, und jung genug, keine Schuld an Kriegsverbrechen oder Völkermord zu tragen. An die dreißiger Jahre erinnerte sich Baring subjektiv als an eine sehr sichere Zeit, natürlich wissend, was außerhalb seines familiären Umfelds geschehen war. Beide suchten einen Patriotismus zu retten, der weder von der wachsenden Fixierung auf das Dritte Reich und auf dessen Verbrechen erdrückt wurde, noch diese beiseite schob oder gar leugnete. Baring trieb insbesondere die These eines Katholiken um: Daß sich das deutsche Volk nur läutern könne, wenn es auch für Hitler das Totengebet spreche: »Im Totengebet bittet man um göttliche Gnade für die Seele der Verstorbenen. Im Bewußtsein der eigenen Sündhaftigkeit darf man sich nicht über andere Sünder erheben, also auch nicht über Hitler«, notierte Baring 2013 in seinem letzten Buch, Der Unbequeme.
Als Schönbohm 1990/91 die Nationale Volksarmee der DDR auflöste und die verbliebenen Soldaten in die Bundeswehr übernahm, machte er die irritierende Erfahrung, daß er für einen ökumenischen Gottesdienst im vormaligen Verteidigungsministerium der DDR zwar einen katholischen Geistlichen, aber keinen evangelischen Pfarrer fand. Bischof Gottfried Forck verteidigte die Berührungsängste der evangelischen Kirche gegenüber dem Militär. Eine Missionierung der wiedervereinten Armee durch beide Kirchen, die Schönbohm gern gesehen hätte, fand erst recht nicht statt. Dieser Verzicht paßte zur Sorge Barings, daß Staat und Gesellschaft an Selbstaufgabe zugrunde gehen könnten (vgl. S. 102). Schönbohm sah bei aller Enttäuschung mit soldatischem Pragmatismus über manchen Abgrund hinweg. Beide kamen sie aus angesehenen Familien. Der Maler George Grosz beschrieb Schönbohms Großvater väterlicherseits in Stolp (Pommern) als »echten deutschen Buchhändler alten Stils«. Schönbohms anderer Großvater war ein Holzhändler aus dem Bergischen Land, dem vorübergehend Schloß Neu Golm bei Bad Saarow gehörte. Die weitläufige Bankiers-, Soldaten-, Beamten- und Juristenfamilie Baring darf Prinz William zu ihren Verwandten zählen, da Prinzessin Diana eine Baring zur Urgroßmutter hatte. Einen leichten Weg hatte »Ulf« dennoch nicht. Als er Professor wurde, beschied ihm seine Mutter, »aber du weißt doch gar nichts«. Der stets neugierige Zeithistoriker, der eigentlich Jurist war und zunächst bei den Politologen lehrte, fand das nicht einmal ganz falsch.
Den Dresdner Feuersturm im Februar 1945 hatte er denkbar knapp überlebt. Danach sah er die Vergewaltigungen durch die Russen, die ihn zu Scheinhinrichtungen an die Wand stellten. Es kam die Not der Nachkriegsjahre. In Berlin, wo Barings hungerten, gehörten auch Verschleppungen auf Nimmerwiedersehen in den russischen Sektor dazu. Die Schönbohms verbrachten die Jahre nach ihrer Flucht im niedersächsischen Boitzenhagen, wo sie in einer halbverfallenen Kate ebenfalls in größter Armut lebten. Wem solche Erfahrungen in den Knochen steckten, der wußte einfach, was er an der prosperierenden Bundesrepblik hatte.
Requiescant in pace
Baring lernte ich erst im Dezember 2005 bei einem Hauskonzert in Berlin kennen. Der Zufall wollte es, daß er am selben Tag eine positive Rezension meines Merkur-Aufsatzes »Ein Volk will verschwinden. Holocaust und deutsche Frage« verfaßt hatte. So war er höchst erfreut, als wir uns am Abend zusammen mit seiner Frau erstmals begegneten. Bald darauf waren wir per du, und die großzügige Freundschaft dieses einnehmenden Mannes (»Wer mich kennt, der liebt mich«) überstand auch schwerste Turbulenzen. »Leben geht nur mit Ach und Krach«, pflegte er zu sagen. Und auf die Frage nach dessen Sinn gab Baring stets eine Antwort, die Erstaunen auslöste: »Der Sinn des Lebens ist es, das Leben weiterzugeben.« Das tat er nicht nur in Gestalt einer liebevoll gehegten Schülerschar, die es ihm mit großer Zuneigung dankte und dankt. Seine Stellung im Polit- und Medienbetrieb war aufgrund seiner Werke, seiner Beziehungen, seiner öffentlichen Präsenz und seiner persönlichen Beliebtheit singulär. Wer außer ihm konnte es sich leisten, Willy Brandt bei den Schultern zu packen und ihm ein »Armer Kanzler!« ins Gesicht zu sagen? In schwere See geriet er dennoch. 2003 wünschte ihm die taz jemanden an den Hals, der »Deutschland um einen Kopf kürzer« macht. Den Prozeß, den Baring dagegen anstrengte, verlor die Zeitung.
Schönbohm hinterläßt drei Kinder und sieben Enkel, Baring vier Kinder und acht Enkel. Unvergeßlich ist die für ihn typische Intervention in dem Büchlein Schluß mit dem Ausverkauf!, das 2011 mit dem von ihm formulierten Untertitel erschien: »Den traurigen Niedergang der Union, ihre bedingungslose Kapitulation vor dem Zeitgeist und den allgemeinen Verfall unserer Parteiendemokratie erörtern, obwohl sie niemand darum gebeten hat, Arnulf Baring, Josef Kraus, Mechthild Löhr und Jörg Schönbohm.« Am Ende warf Baring die Frage auf: »Sagt mal, ihr Lieben, interessiert das eigentlich irgend jemanden, was wir hier reden?« ◆
ANDREAS LOMBARD
Geboren 1963 in Hamburg, ist Andreas Lombard deutsch-französischer und jüdisch-ungarischer Abstammung. Nach dem Studium der Philosophie, Germanistik und Geschichte in Heidelberg und Berlin war er als freier Journalist tätig. Im Jahre 2005 gründete er den Landt Verlag, der heute ein Imprint der Manuscriptum Verlagsbuchhandlung ist, die er bis 2017 leitete.